CD Kritik Progressive Newsletter Nr.63 (09/2008)
Joy Unlimted - Reflections
(74:37, Garden Of Delights, 1973)
Wenn die Alben, die Joy Unlimited vor "Reflections" einspielten, das Gewicht auf "Joy" legen, so fällt die Gewichtung mit diesem Album eindeutig zugunsten "Unlimited" aus. Nicht nur, weil Sängerin Joy, die sich später Joy Fleming nannte, 1971 aus der Band ausgestiegen war, sondern weil die Musik eine im Vergleich zur vorherigen Arbeit der Band spürbare Intensivierung und künstlerische Freiheit ausstrahlt. Es scheint, als legten Roland Heck (org, p, key), Dieter Kindl (acc-g, e-g, b), Gerd Köthe (ts, ss, fl), Albin Metz (b, perc, tp) und Hans Herkenne (dr, perc) mit ihrem neuen amerikanischen Sänger Ken Traylor (e-g, acc-g) alle kommerziell notwendigen Bandagen ab und probierten sich in der hohen Kunst progressiver, komplexer Musik. Das hatten sie ansatzweise schon vorher getan, nicht jedoch dieses hervorragende Niveau erreicht. Joy Unlimited erinnern mich stark an die Frühsiebziger Italo-Prog-Szene, die damals ähnlich komplizierte, anspruchsvolle, von Klassik und Jazz beeinflusste Musik auf hohem qualitativen Level gespielt hatte. Zudem, diese Musiker waren (sind?) exzellente Handwerker, die jedes ihrer Themen dynamisch und lebhaft zu spielen wussten. Von den 9 Stücken auf der LP, die ich nicht Songs nennen würde, die Arrangements gehen weit über das allgemeine Songverständnis hinaus, ist keiner ein Longtrack. Die Ideen gehen teilweise ineinander über, ergänzen sich und führen zueinander. Das Album an sich ist ein einziger Longtrack, der aus verschiedenen Parts und Phasen besteht. Ken Traylor hat, logisch, eine andere Stimme als Joy. Es gibt keinen Jazz-Scat zu hören. Er hat nicht nur eine andere Art zu singen, er singt weitaus weniger. Die 9 Stücke sind wesentlich instrumental ausgebaut, mit komplexen jazzigen und rockenden Parts sowie balladesken, fast folkigen Motiven, ähnlich, wie frühe Bands aus der progressiven italienischen Szene ihre Musik zelebrierten. "Reflections" ist ein Highlight im Reissue-Katalog des Labels Garden of Delights, wer auf Progressive Rock und Jazzrock steht, sollte sich unbedingt um diese Produktion bemühen. Als Bonus sind 10 Songs auf der CD enthalten, die damit 2LP-Länge hat. Die meisten Bonustracks haben nicht das hohe Niveau wie die einstigen LP-Stücke. Sie sind songdienlicher aufgebaut, mancher Gesang ist deutlich kommerzieller, die instrumentale Struktur schlichter. Dennoch ist auch das Gros dieser Songs nicht uninteressant. Die Aufnahmen sind digital überarbeitet, haben erstklassigen Klang. Im dicken Booklet ist die Geschichte der Band in englischer und deutscher Sprache ausführlich nachzulesen. Bilder, Bandbesetzungen, alle Veröffentlichungen der Band und Coverabbildungen sind zu studieren. Meine Empfehlung für ein außergewöhnliches musikalisches Meisterwerk.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2008