CD Kritik Progressive Newsletter Nr.63 (09/2008)
Jelly Fiche - Tout ce que j'ai rêvé
(62:48, Unicorn Digital, 2008)
Mit dieser ersten CD-Veröffentlichung von drei frankokanadischen Musiker aus Quebec / Montreal hat das kanadische Unicorn Digital Label der Welt mal wieder eine feine Überraschung aus dem großen Pool der unbekannten progressiv-musikalischen Bands serviert. Die Protagonisten von Jelly Fiche weisen vielfältige künstlerisch-musikalische Neigungen auf (Sänger & Bassist Syd als Verehrer der poetischen und rockenden Kunst - Keyboarder & Saxophonist Éric Plante als Freund der jazzigen und atmosphärischen Musik - Gitarrist Jean-François Arsenault als begeisterter Progfreund des 60er/70er Jahre Sounds), so dass die Grundvoraussetzungen für eine abwechslungsreiche Scheibe gegeben sind. Außerdem wird die Band von Gastmusiker Mathieu Bergeron am Schlagzeug, von Vanessa Caron an der Querflöte sowie von Gardy Fury im Backgroundgesang unterstützt. Mit dem Einstieg in das fast neunminütige Titelstück werden direkt atmosphärische Klangräume bei feinfühligem akustischen und elektrischen Gitarrenspiel geboten, wobei der melodisch-ausdrucksstarke französische Gesang von Syd mich am stärksten in den Bann zieht. Irgendwie werde ich hier an Dominique Leonetti von Lazuli erinnert, allerdings in einer eher wärmeren und getrageneren Art und Weise. Der Eröffnungstrack wandelt dann, untermalt mit ansprechenden mehrstimmigen Gesangsarrangements, folkloristischem Flötenspiel und jazzigen Saxophoneinlagen, in eine wohltemperierte psychedelisch-sinfonische Soundlandschaft. Dezente Keyboardteppiche mit verspielten Tastenmelodien sowie ein glasklares E-Gitarrensolo geben dem Titelstück dann die entsprechende Würze. In "Les Arbres" führen uns die Kanadier eindeutig in "Floydsche" Klanggebilde, wobei das Wechselspiel von Rhythmus und Atmosphäre mit gefühlvollem Gitarrenspiel und psychedelischen Tastenläufen einige der guten alten Floyd-Stücke sogar toppt. Selbst Sänger Syd singt hier sehr Pink Floyd gemäß. Das Außergewöhnliche an dieser über zehnminütigen Komposition ist aber im Mittelpart der Wandel in jazzig-orientalische Musikbereiche, wobei Éric Plante seine Fähigkeiten am Saxophon zeigt. Dazu erzeugt die Band hypnotische Rhythmen mit hin und wieder beschwörenden Gesangslauten. Als Höhepunkt des orgiastischen Mittelteils werden uns dann noch ekstatische Gitarrenläufe geboten, bevor das Stück dann wieder in gemäßigten "Floydschen" Tonfolgen zum Ende kommt. "Caché Au Fond Plus Haut" ist ein groovy rockendes Stück mit Rhythmuswechseln und lockeren Keyboard- und Gitarrenklängen im "Vintage-Look", wobei mir hier eine starke musikalische Nähe zu den wunderbaren schwedischen Beardfish auffällt. Ich mag nun nicht mit einer Einzelbewertung aller neun Kompositionen langweilen, da die Magie und der Abwechslungsreichtum der Musik im Stil der ersten drei Songs bis zum letzten Ton dieser CD aufrecht erhalten wird. Immer mal wieder werden gekonnte mehrstimmige Gesänge geboten - natürlich bis auf das groovende psychedelisch-sphärische Instrumental "In Vitro". Der Klangkosmos ihrer Musik wandelt von atmosphärisch-verträumt bis pulsierend-hypnotisch und die Solodarbietungen der jeweiligen Instrumentalisten werden allerfeinst in Szene gesetzt. Im abschließenden Fünfzehnminüter "La Cage Des Vautours / Liberté" bieten sie noch mal kraftvollen, chansonesken Rockgesang, der auch schon mal in höhere Stimmlagen vordringt. Dabei erzeugen sie bei atmosphärisch dichtem Sound viele verspielte sowie erdig rockende Töne, die auch ins Jazzig-progressive abdriften. Schließlich enden sie nach mehreren Stimmungswechseln in sinfonischen Klängen, die von Mellotronlauten getragen werden. Jellyfiche führen die ca. 40-jährige Ära der progressiv-musikalischen Quebec-Szene, die so klangvolle Namen wie z.B. Morse Code, Harmonium, Maneige oder Pollen hervor gebracht hat, äußerst glanzvoll in das 21. Jahrhundert. Diese CD ist seit der Lazuli Veröffentlichung "En Avant Doute..." sowie der letzten beiden Nemo Scheiben "SI Partie I & II" mein absolutes frankophil-progressivmusikalisches Highlight. Klangauszüge findet ihr bei www.myspace.com/jellyfiche oder unter www.unicornrecords.com/mp3.html Viel Spaß beim Reinhören!
Wolfram Ehrhardt
© Progressive Newsletter 2008