CD Kritik Progressive Newsletter Nr.63 (09/2008)

Elephant9 - Dodovoodoo
(48:31, Rune Grammophon, 2008)

Wow! Was für eine Platte! Die Musik strömt nur so vor Spielfreude, Einfallsreichtum, Kraft und Lebendigkeit. Keine Anbiederung an den Massengeschmack, keine Nähe zu irgendeinem Mainstream, kein liebedienerisches Anklopfen beim geneigten Fan. Elephant9 rocken und jazzen sich ideenreich die Seele aus dem Leib, ohne Rücksicht auf Verluste, mit unglaublicher Dynamik und verschmitzter Heavyness, mit hingebungsvoller Lust und Verve. Kennt ihr noch Billy Cobhams erstes Solo-Album "Spectrum"? Der eröffnende Titeltrack "Dodovoodoo" ist der jüngere Bruder im Geiste von "Quadrant 4", so donnern und krachen Elephant9 auch in den folgenden sechs instrumentalen Stücken, im steten Wechsel aus energetisch-dramatischen Kraftausbrüchen und einfallenden zarten, sensiblen Stilleerkundungen. Eine Platte für den neugierigen, auf Unerwartetes begierigen AvantProg Fan, der Jazz und Rock wie Jazzrock gern brachial und technisch, intuitiv wie emotional mag. Nach dem eröffnenden, sportlich-rasanten Überschlag setzt sich der hochenergetische Level pausenlos fort. Schlagzeuger Torstein Lofthus (Shining) hat seine Fitness für 2008 bereits vollbracht, was der Mann hier ackert, wie viel Kraft einsetzt, geht auf keine Kuhhaut. Ein Monsterdrummer, sehr technisch, dabei selbst in melancholisch-apathischen Momenten wie ein Stehaufmännchen immer am Ball. Seine Mitstreiter in dem fast noch ganz frisch gezeugten Trio sind Keyboarder Ståle Storløkken (Supersilent, Humcrush) und Bassist Nikolai Eilertsen (The National Bank, Lester). Anders als in Supersilent forschen Elephant9 nicht die Freakigkeit der freien Avantgarde aus, sondern strukturieren ihre Songs im Progressive Jazz Rock mit enormer Rockhärte, die schon mal an Atomic Rooster, das Mahavishnu Orchestra oder eben Billy Cobham denken lässt, mit einer spacigen Psychedelic Spur und viel intensivem, ratzescharfem Jazz. Nicht, dass Elephant9 genannten Bands nacheifern, die Erwähnung dieser sind nur etwaige Parallelen. Die im Grand Sport Studio in Oslo, Norwegen, aufgenommenen Tracks strahlen dieses ganz besondere Frühsiebziger Feeling aus, die dynamische, radikale Rockarbeit, die nichts darauf gibt, sich bestens zu verkaufen, um nach Jahresende vergessen zu werden. Hier wird im besten Sinne Kunstrock gemacht, Musik, die wahrhaft Kunst ist, hohe, abstrakte, expressionistische Kunst. Storløkken ist für den melodischen Ausbau der Kompositionen zuständig, er hat drei Songs geschrieben, zwei stammen aus der Feder von Eilertsen, einer ist eine Bandkomposition, zwei sind Cover von Joe Zawinul ("Doctor Honoris Causa" und "Directions"). Wie Lofthus ist Storløkken nicht zu bremsen. Seine Orgelattacken lassen, um es für Gitarristenmaniacs unter den Lesern nur kurz zu erwähnen, die Abwesenheit jedes Saitenzauberers schier vergessen. Es gibt keinen Leerraum, keine instrumentale Lücke in den Songs. Storløkken ist ein furioses Genie, das Vincent Crane und Brian Auger mehr als einmal zugehört hat und sich von der Energie und Spielweise beider Organisten anstecken ließ, jedoch weitaus abstrakter, bisweilen atonal spielt. Schwerer, süffiger Rock, knackig-trockener Funk, disharmonische Jazzphrasen kommen hier zusammen, ohne althergebrachte oder bereits gehörte Sounds und Klänge ein weiteres Mal zu intonieren. Elephant9 wissen zarte und stille Motive leidenschaftlich und emotional zu spielen, mit Tiefgang und kraftvoller Harmoniesprache, ganz ohne sentimentale Süßlichkeit. Stets heckt die Band auch kleine Scherze aus, die sie mal durch ein kochendes Rockmotiv, dann durch ein Jazzlick gucken lässt. Die hatten nicht nur jede Menge Spaß, sie wussten diesen auch in ihre Songs einzubauen. Elephant9 veröffentlichen mit "Dodovoodoo" zwar ihre Debütarbeit, sind aber live seit einigen Jahren bereits eine Bank in der norwegischen Jazzrock-Szene. Sie haben bisher zwar nur eine Handvoll Konzerte gegeben, sich damit aber einen guten Namen gemacht. So wurde es Zeit, endlich die expressive Schräglage ihres Ideenreichtums auf CD für die süchtigen Fans weltweit zu verewigen. Tipp!

Volkmar Mantei



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