CD Kritik Progressive Newsletter Nr.62 (05/2008)
The Mars Volta - The Bedlam in Goliath
(75:50, Universal, 2007)
Der Mensch ist jeglicher Weise ein Gewohnheitstier. So gewöhnt man sich ebenso an musikalische Par-Force Ritte, wirken Extreme beim mehrfachen Anhören auf einmal weniger anstrengend, schleicht sich bei Wiederholungen jeglicher Art ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Sicherlich spielen The Mars Volta auf "The Bedlam in Goliath" keinen alltäglichen Kram, sind sie immer noch versponnen genug, um dem "Normalhörer" gehörig auf den Senkel zu gehen. Dennoch ist dieses Werk schon fast so etwas wie das zugängliche "Pop" Album in der Diskografie des lateinamerikanischen Experimentalduos Cedric Bixler-Zavala und Omar Alfredo Rodriguez Lopez. Im Gegensatz zu den ausufernden Songmonolithen, die man zuvor auf den Alben von The Mars Volta fand, ist "The Bedlam in Goliath" weitaus strukturierter, weniger ausschweifend ausgefallen, hat man sich von den ellenlangen Soundexperimenten der Vergangenheit verabschiedet. So wirkt vieles auf einmal wesentlich auf den Punkt gebracht, gestraffter, konzentrierter und das tut dem Material eindeutig gut. Doch natürlich ist Entwarnung angebracht: auch wenn The Mars Volta auf einmal nicht mehr Songs jenseits der 10 Minuten Grenze benötigen, um eine inhaltliche Aussage zu finden, so sind die 12 Tracks immer noch weit entfernt von simpler Konformität, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass die Songübergänge komplett fließend sind. Doch hat die Neuausrichtung mit weniger Leerlauf, weit weniger Durcheinander ebenfalls ihren Preis. Die Latin-Elemente wurden komplett über Bord geworfen, weder spanisch-sprachiger Gesang, noch der leichte Salsa Touch finden sich auf dem aktuellen Output. Vielmehr sind die Experimente jetzt mehr im gnadenlos treibenden Rock zu Hause, wobei logischerweise der Brückenschlag zu kernigen, abgefahrenen Frickeleien immer noch fließend ist. Auch die verwandtschaftlichen Verquickungen zu Psychedelic / Progressive Rock bzw. Jazz Rock sind vorhanden, doch weit weniger prägnant und ausufernd, als man dies zuletzt von The Mars Volta gewohnt war. Wie alle Alben dieser nicht gerade alltäglichen, aber dennoch kommerziell erstaunlich erfolgreichen Band, benötigt auch dieses Konzeptwerk seine Zeit. Obwohl der ganz große Überraschungseffekt, den noch das Debüt "De-loused in the comatorium" vor rund fünf Jahren auslöste, verpufft ist, bekommt man hier das vielleicht stimmigste und ein in sich geschlossenes Album der zwei Verrückten aus El Paso geboten. Und vielleicht war es auch ganz gut, dass im Vorfeld der Veröffentlichung dieser Scheibe kein zusätzlicher Hype entstand, sondern allein die Musik zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung überzeugen konnte.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2008