CD Kritik Progressive Newsletter Nr.62 (05/2008)
Box - Studio I
(42:25, Rune Grammofon, 2008)
Schriftsteller und Filmemacher Philip Mullarkey hat die vier Musiker "handverlesen" ausgesucht, wie es im der CD beiliegenden Presseblatt heißt, die Musik für sein Kunst-/Filmprojekt "Box" zu gestalten, ganz ohne Vorgaben. So traf sich mit Raoul Björkenheim (g, Viola da Gamba, Krakatau, Scorch Trio), Trevor Dunn (b, Mr. Bungle, Fantômas, John Zorns Electric Masada, Moonchild), Ståle Storløkken (keys, electr, Supersilent, Humcrush) und Morgan Ågren (dr, Mats/Morgan, Flesh Quartet, Kaipa) eine recht eigenwillige, und gewiss nicht leichtgängige, extravagante und künstlerisch versierte Truppe. Ohne eine Idee von Komposition ging der Box-Vierer zuerst für zwei Tage ins Studio und probierte sich in freier Improvisation. Von den aufgezeichneten Tracks sind auf "studio 1" sechs unbetitelte Stücke enthalten. "untitled 9" macht mit seinen 17 Minuten den zeitlichen Großteil der CD aus, erhascht aber auch wegen seiner extravaganten und beeindruckenden Struktur die größte Aufmerksamkeit. Nach einer Ton und Klang suchenden Einstimmungsphase hämmert Morgan Ågren lebhaft auf sein Schlagzeugset und verführt die Band zu einiger Heavyness. Gitarrist Raoul Björkenheim dürfte, im Nachhinein, gewiss selbst erstaunt gewesen sein, dass seine leidenschaftlichen und quasi aggressiven Soli so ungemein Jazzbetont sind, dabei messerscharf aus den Boxen jagen und gefährlich Suchtpotential verbreiten. Nach der ersten aufgeputschten Phase verpufft die Lautstärke in unterirdisch blubbernden Sounds, aus denen eine wieder stark jazzbetonte Epik aufgeht, die kein Ende finden will und den Vierer ungemein fordert. Trevor Dunns Bass klingt wie gefährliche Magma, unruhig, aufbegehrend, wild, aggressiv, aber stets in der Spur bleibend, Raoul Björkenheim und Ståle Storløkken reizen mit atonaler Melodiestruktur, die eines John Coltrane würdig wäre, den harmonischen Rahmen grandios aus, von Morgan Ågren auf Trab gehalten, der unstoppbar seine Drumfelle vergewaltigt. Was für eine Orgie! Und dabei - welche Disziplin! Die Energie des Stückes bleibt stets auf sehr hohem Level, ohne über zu schießen und zu verebben, die hatten, scheint's, Lust daran, sich so gewaltig, und nicht ohne Bombast, auszutoben! Nach der Supersilent-verwandten Dröhn-Stille des zweiten Stückes "untitled 11", die wie ein minimalistischer Rausch vorüberzieht und vor allem durch Morgan Ågrens vertrackte Taktverzierungen wirkt und über die Trevor Dunn wie düstere Wolken seine melodische Bahn zieht, probiert das Quartett erneut die Prog-Jazzuntiefen heraus. Ståle Storløkken, ganz Supersilent, gewinnt seinem Keyboardensemble blubbernde Töne zwischen Düsternis und Comic ab, während Raoul Björkenheim, bis der Song schließlich soweit eingefahren ist, auf Dunns gewaltiger Bassspur ein weiteres rasantes Solo streicht. Himmel, grandioser! Die Band hält auch in den drei weiteren Stücken an, gefährliche, düstere Stille in atonale, nie sehr laute, aber "schräge" Energieschübe zu entladen, die dann das bebende Gebräu zur Kernschmelze führen. Nun, das Beste, scheint mir, ist an der extraordinären, so will ich sagen, CD der Titel: "Studio 1". Verspricht er doch, dass von dieser exzellenten, und dabei für Freigeister relativ eingängigen Tonkunst mehr drin ist. So sich, ist wohl der Gedanke dahinter, neugierige Hörer davon angesprochen fühlen und die CD sich verkauft. Kann ich nur raten zu!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2008