CD Kritik Progressive Newsletter Nr.61 (01/2008)
Big Big Train - The difference machine
(54:51, English Eclectic Recordings, 2007)
Verwundert reibt man sich zuerst die Ohren. Sind das wirklich Big Big Train oder ist da etwa die falsche CD im Player gelandet? Nein, eine nochmalige Überprüfung bietet Sicherheit, es handelt sich wirklich um das aktuelle Werk der britischen Band, die auf ihren Vorgängeralben mehr im sehr melodischen Neo / Retro Prog zu Hause waren und sich nun im gewissen Sinne neu justiert haben. Mit "The difference machine" wagt die Band einen sehr mutigen, aber überaus gelungenen Neubeginn, da man eine Balance zwischen Rückbesinnung und aktuellen Sounds gefunden hat und damit vor allem musikalisch einen sehr interessanten neuen Weg beschreitet, um das bisher anspruchsvollste, aber auch definitiv beste Album der Bandgeschichte abzuliefern. Zwar haben Big Big Train nicht ganz der Retro Vergangenheit abgeschworen, doch fällt der 70s Touch um einiges atmosphärischer und weit weniger melodielastig aus. War es früher vor allem eine Genesis-ähnlich Inspirationsquelle (die auf "The difference machine" durchaus noch zu erkennen ist), findet man heutzutage zuweilen einige crimsoneske, VdGG-ähnliche Passagen, ja sogar eine sehr dominante melancholische Skandinavien-Note. Alles ist auf seine Art ambitionierter und vor allem inhaltlich weitaus vielschichtiger angelegt. Neben weichen Mellotronwolken und pumpendem Squire Bass bekommt man nun auch diverse Saxophonparts um die Ohren geblasen, fehlt es aber genauso wenig an pastoraler Besinnlichkeit. Denn ganz von der melodischen Schiene hat sich die Band keineswegs verabschiedet, Big Big Train haben jedoch eine sehr spannende Spielform aus tiefgründigen und eingängigen Passagen für sich definiert, beackern dabei das neue Terrain durchaus beachtlich und über weite Strecken geradezu begeisternd. Da fragt man sich wirklich, was die Band zu diesem mutigen Schritt gebracht hat, der keineswegs gestelzt, sondern überaus überzeugend wirkt. Um noch einen drauf zu setzen, holte man sich zudem bei namhaften Gastmusikern Unterstützung, denn Pete Trewavas (Marillion), Nick D'Virigilio und Dave Meros (beide Spock's Beard) sorgen für einen zusätzlichen Kick, ohne sich jedoch in den Vordergrund zu spielen. Mit dem bereits für IQ, Spock's Beard und Asia tätigen Rob Aubrey saß dann als Tüpfelchen auf dem I zudem der richtige Mann für den soundtechnischen Feinschliff am Mischpult. Somit bekommt die inhaltliche Neuorientierung den letzten Dreh und Kniff. Wer den freudigen Worten keinen Glauben schenkt, der surfe bei der myspace Website der Band vorbei und lausche überrascht, erstaunt und vor allem begeistert. Wahrscheinlich wird es die Band mit diesem Album schwer haben, denn ihren bisherigen Fans geben sie eine gewaltige Neuausrichtung als Hausaufgabe mit, neue Fans werden eventuell gar nicht ihre Aufmerksamkeit auf dieses Album richten, da sie die Band mit einer ganz anderen Stilistik in Verbindung bringen. Deswegen hier nochmals der eindringliche Aufruf: wer die 70s Retroschiene mit mehr Tiefgang und ohne typische Plattitüden mag, dabei aber auch nicht auf Melodien verzichten möchte und durchaus eine Prise neuere Sounds und Dynamiksprünge vertragen kann, liegt bei diesem wunderbaren Album genau richtig. Ein wirklich geglückter Neubeginn, den es zu würdigen gilt: ganz, ganz ehrlich!
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2008