CD Kritik Progressive Newsletter Nr.60 (09/2007)
Interphases - Psycho Movie
(52:52, Mystical Hunters Records, 2006)
Wenn man die aktuelle CD der Stuttgarter Formation Interphases aus dem Umschlag zieht, sieht man erstmal verblüfft auf ein Amaray Case. Doch die ungewöhnliche Verpackung enthält keine DVD, sondern das Album "Psycho Movie", aufgemacht wie ein Film, von der Optik bis zu der grafischen Gestaltung und Credits. Ein wirklich witziger Einfall. Die Musik der Band, die bereits seit 1980 (!) aktiv ist, bietet auf ihrer zweiten CD (nach "The Official Live Bootleg" von 2001) und dem ersten richtigen Studiowerk eine schöne Melange aus abwechslungsreichem Progressive Rock und Songwriter Rock, wobei das "Prog"-Pendel jedoch nie zu stark oder einseitig in Richtung "Neo" oder "Old School" ausschlägt, sondern einen gesunden Mix aus 70er-Jahre-Einflüssen von Genesis bis Peter Gabriel und Peter Hammill ("Wet Hand") bis hin zu den 80ern à la Marillion oder einem Hauch von Rush bei der Gitarre wie in "Back to the streets". Die stärksten Marillion-Einflüsse sind allerdings lediglich im Opener "The tenant" zu hören, der stellenweise an "The web" erinnert, und wo Leadsänger Jürgen "Citizen" Raab seine an Fish angelehnte Gesangsstilistik voll ausspielen kann, später kommt dieser Marillion-Touch nicht mehr so stark heraus. Die Kunst dabei ist es wohl, dass es dennoch nie dick aufgetragen und damit störend klingt. Gleich beim zweiten Track "A change in the weather" glaubt man durch die eingespielten italienischen Sprachsamples, in die Zeit des glorreichen Italo Prog Rocks versetzt zu werden, bevor einen die englischen Songlyrics wieder in die Gegenwart zurückholen... Einen Musicaltouch mit Pop-Appeal hat "Back to the streets". Die Sprachsamples à la Floyd begegnen einem später dann immer mal wieder und können wohl als abwechslungsreiches Stilmerkmal der Band gewertet werden. Bei "Humdrum" wagen sich Interphases dann noch an einen Coversong, der bisher wohl nur wenig gecovert wurde, weil er ohnehin so perfekt von Peter Gabriel interpretiert wurde. Obwohl die Band mit großem Respekt an den Song geht und ihm nicht zu viele neue Aspekte abgewinnen kann, so klingt er recht modern und wunderschön anzuhören, ein wenig verwandelt dann doch am Schluss durch die Keyboards, ja, sogar Gänsehaut stellt sich beim Hören ein, wie beim Original - Respekt! Ähnlich ergeht es einem auch mit dem balladesken und überaus melancholischen "Flotsam and Jetsam". Und zum Ausklang dann der Schlusssong "Family Day", wo die Gruppe dann nochmal alle ihre stilistischen Register zieht. Auch technisch kann man mit der CD sehr zufrieden sein, eine ansprechende, transparente Produktion, die nicht überladen klingt, ein sauberer, akzentfreier Gesang (hätten nur Eloy so einen Sänger gehabt...), mehrstimmige Arrangements, auch die musikalischen Arrangements kommen auf den Punkt, ohne Themen und Motive breitzuwalzen. Kein Wunder, hier rangiert die Lauflänge der Songs um die 5-6 Minuten, der Longsong "Family Day" am Schluss ist gerade mal "nur" 11 Minuten lang. Da könnten sich manche Bands mit ihren 20- oder 30-Minütern, wo es oft viel Leerlauf gibt, eine Scheibe abschneiden. Ein durch und durch starkes, atmosphärisch dichtes Album ohne Ausfälle, und ohne Anbiederung an irgendwelche aktuellen Trends, kein Neo-Prog, kein Prog-Metal, Goth-Prog oder was weiß der Geier. Einfach gute, zeitlose Musik, die wohl endlich auf CD gebannt wurde und die man sich immer wieder anhören kann, ohne dass es langweilig wird. Empfehlung.
Markus Schurr
© Progressive Newsletter 2007