CD Kritik Progressive Newsletter Nr.60 (09/2007)
Dream Theater - Systematic chaos
(78:46, Roadrunner Records, 2007)
"Bei den Aufnahmen zu diesem Album hatte ich den größten Spaß seit 'Awake''", meinte James LaBrie auf der Bonus DVD zu "Systematic chaos", dem aktuellen Album von Dream Theater. Trotz allem, was Dream Theater in über zwei Jahrzehnten erreicht haben, hat die Band augenscheinlich immer noch jede Menge Enthusiasmus und Freude beim gemeinsamen Musizieren, stellt man sich immer noch bei jedem Album neuen Herausforderungen, ohne nur im bisher Erreichten zu verharren und ausschließlich auf Nummer Sicher zu gehen. Um den Entstehungsprozess des neuen Albums frisch zu halten, wurde bei "Systematic chaos" ein etwas anderer Weg als bei den Vorgängeralben gewählt. Während man in den Jahren zuvor mit einer klaren Idee / Konzept bzw. stilistischen Grundrichtung ins Studio ging, war dieses Mal kein klarer Weg vorgezeichnet, sondern man ließ sich einfach spontan inspirieren. Herausgekommen ist dabei ein Album, das grob die gnadenlose Härte von "Train of thought", wie auch die sinfonischen, elegischen Parts von "Ocatavarium" vereint, schlichtweg ein Dream Theater Album mit den typischen Trademarks der letzten Jahre, ohne jedoch nur im eigenen Saft zu schmoren. So bekommt man einerseits mächtige, bombastische Melodiebögen in den epischen Tracks wie z.B. dem zweigeteilten "In the presence of enemies" geboten, aber auch kleinere Anleihen an Muse bzw. vokale Queen-Inspiration im flotten "Prophets of war" sorgen für frischen Wind. Andererseits brettern die Riffs auf z.B. "Constant motion" in brachialer Härte über den Hörer hinweg und lassen keinen Zweifel aufkommen, dass Dream Theater noch immer kräftig in den Hintern treten können. Als Gegenpol dient dazu das melancholische, sehr atmosphärische und deutlich von Pink Floyd inspirierte "Repentance", bei dem die Prog Metal Heroen einmal mehr beweisen, dass eben Schnelligkeit und Technik nicht alles bedeutet, und man es ebenfalls versteht, stimmungsvolle Songs mit Tiefgang zu schreiben. Was jedoch auffällt, ist, dass dieses Album einige, wenige Instrumentalparts von unglaublicher Schnelligkeit und Komplexität enthält (allen voran der Zwischenteil von "The dark eternal night"), die zwar einerseits sehr beeindruckend gespielt sind, mitunter aber auch einfach in eine technische Freakshow mutieren. Ganz augenscheinlich hat man spätestens seit dem Nebenprojekt Liquid Tension Experiment Gefallen an technisch anspruchsvollen Tempopassagen gefunden, was somit mitunter die ebenfalls vorhanden Songschreiberqualitäten der Bandmitglieder leider in den Hintergrund drängt. Dass es eben auch anders geht, beweist der bombastische Schlusspart von "The minstry of lost souls", welches in 15 Minuten als gelungenes Miniepos zu gefallen weiß. "Systematic chaos" hat zweifellos seine Qualitäten, fällt aber leider einige Male recht böse in die Technikfalle. Doch sobald Dream Theater ihre spielerischen Fähigkeiten songdienlich einbetten, sich augenscheinlich zurücknehmen und Melodien, Emotionalität, sowie der Devise "weniger ist mehr" das Feld überlassen, beginnt die wahre Stärke der Band zu strahlen. Kein neues Meisterwerk wie "Images and words" oder "Scenes from a memory", aber zweifelsohne ein gutes, wenn auch nicht überragendes Dream Theater Album.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2007