CD Kritik Progressive Newsletter Nr.59 (05/2007)
Random Touch - Alchemy
(68:27 + DVD, Roadnoise Productions, 2007)
Wenn wir zusammen spielen, ist es, als erreichten wir den Zustand der Trance, meinen Random Touch auf dem der Doppelproduktion CD+DVD beiliegenden Infoblatt. Diesen Eindruck erhärtet der eigenwillige Klang, den die CD wie die DVD offenbaren. Random Touch hatten einige CDs früher noch mit aufgefächerten Jazzrock-Strukturen gearbeitet, das hat sich jedoch seit "A parade of Dusty Hobos" komplett gegeben. Seitdem erkundet das Trio Christopher Brown, James Day und Scott Hamill die Harmonien weitab gängiger populärer Strukturen. Die 14 Songs wirken improvisativ, wie zufällig, haben sphärische, zerfaserte Struktur, klingen nervös und hektisch und episch und lyrisch zugleich. Auf "Alchemy" erreichen Random Touch fast schon ambiente Harmonien, die Stimmung ist lyrisch und wohlklingend, darin aber gibt es erheblich disharmonische und aufregende Motive. Zarte Ambiencen strudeln frisch und luftig in den tonalen Raum, von vielen interessanten und blumigen Tönen umtanzt, einigen harschen Dissonanzen durchzogen, aber durchaus fröhlich, frühlingsfreudig und frech fabulierend. Gemächlich ziehen die 14 instrumentalen Tracks des Albums dahin und ergötzen sich ihres eigenen Wohlklanges. Opener "Incompleteness becomes us" ist nicht beliebig, aber trotz einiger wilder Gitarrenexkurse nicht so dolle aufregend, das Stück ist gewiss kein laues Lüftchen, aber auch kein Frühlingssturm, kein trübes Nieseln, aber auch kein prasselnder Regenguss, keine milde Wärme, aber auch keine überwältigende Hitze. So ist es mit dem ganzen Album. Die Songs stecken irgendwo zwischen interessant und leidlich nett fest, sind sehr in den eigenen Ausdruck verliebt, versunken in der lautmalerisch schöngeistigen Tätigkeit, in der musikalischer Inhalt zweitrangig behandelt wird. So bleibt vieles blass und blutleer, trotz Farbe, Witz und Wärme. Random Touch haben sich in ihrem eigenen Musiklabyrinth verirrt und kommen nicht aus dem Dickicht heraus. Als hätte die Band sich in ihrem avantgardistischen Neutöner-Stil verfangen und könnte keine anderen Strukturen mehr greifen, als die des lautmalerischen Zufalls. Fast klingen einige Stücke wie Songs, wenn sich melodische Motive auftun, Keyboard von Gitarre und Schlagzeug begleitet, als griffe ein Song sich eine konkrete Melodie heraus, doch dann zerfasert der Track und die Band sucht die Extravaganz des Themas, ohne sie zu finden. Das dritte Stück "The alchemy of turbulence" plötzlich ist wie der erste zarte Frühling auf dem Lande, ein landwirtschaftliches Flugzeug durchstreift den blauen Himmel, ein laues Lüftchen geht, das Grün streckt seine ersten Spitzen aus dem Dunkel des Bodens, die Luft hat diesen einmaligen Duft und im Hinterkopf röhrt eine viel versprechende Vorfreude auf Wärme, Licht und helles Grün. Plötzlich haben Random Touch ein wunderbares Motiv gefunden und machen daraus ihre ganz eigene Geräuschmusik, tief darin zu versinken - und erste dann geht sie ganz auf. Melodisch konkret wird das Trio nie, alles bleibt im Waagen. Und doch liegen in einigen der Songs brillante Klänge verborgen, so in den sechs Minuten von "Nocturnal emissions", wo es plötzlich vor Ideen sprüht und ansteckende Hörlust erwacht. "Alchemy" hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck, hier und dort gibt es hinreißende Überraschungen, dazwischen aber viel Masse zwischen nervöser, lyrischer Musik (Random Touch verstehen es wie keine zweite Band, Ruhe und Unruhe mit den gleichen Motiv im gleichen Moment auszudrücken) und diffuser Ideen. Auf der DVD ist dieselbe Musik ein weiteres Mal zu hören, jedoch sind die Bilder höchst befremdlich - auf stark verfremdeten Videos bewegt sich die Band zur Musik, als tappe sie im Dunkeln nach dem Lichtschalter. Das soll wohl die Suche nach dem Klang ausdrücken, wirkt aber hilflos und schlicht langweilig. Hingegen haben die Proben der Band durchaus was, die DVD enthält neben den seltsamen, extrem eigenwilligen Videos Bandproben und allerhand selbst gedrehtes Bildmaterial, was sich um den Proberaum und die Musiker rankt. Avantgarde Experten dürfen sich auf ein schräges Experiment freuen, wer den freien Klangraum nicht gewöhnt ist, verirrt sich auf "Alchemy" sehr schnell.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2007