CD Kritik Progressive Newsletter Nr.58 (02/2007)

William Grey - Living Fossils
(69:33, Union Discs, 2006)

Instrumental ein saftig-lyrischer Prog-Traum, mit schwer düsterer Note, lockerer Neoproggigkeit und sphärischer Pink Floyd Verliebtheit. Alles dran, was schöne Harmonien und Intuition hat. Ein großes Ensemble hat das Konzeptwerk (mit Comic im Booklet) eingespielt, die "normale" Rockcrew, zusätzliche Sänger, eine Cellistin (für den feuchten Traum - wie bitte?!?), ein Bandoneón-Spieler und Keyboarder, ein 5-köpfiges Streicherensemble, ein 6-köpfiger Chor, ein Flötist und, auch, ein gewisser Pablo Varela, der Bombo Legüero (Lego-Bomben?) spielt. "William Grey" klingt wie ein europäisches Prog-Album, hat zeitgemäße Einflüsse wie Steve Hackett, Ayreon und spätere Pink Floyd, zudem ein hin und wieder aufkommendes Symphonic-Gothic-Flair, klingt inspiriert, kraftvoll, selbstbewusst, gut komponiert, und hat trotz einiger Härte lieblich perlendes Piano. Viel herzhafter, dynamischer Rock, teilweise metallisch und schön heavy, instrumental lang ausgebaut und mit dem Hang zu tollen Unisonoparts zwischen Bass, Gitarre und Schlagzeug entspannt sich in großartigen Passagen. Dazwischen melodiert ein solistisches Piano melancholische Tontropfen, eingängig, gefühlvoll, lüstern. Schon erstaunlich, wie viel Piano es zwischen den harten, groovig wildernden Rockparts gibt, die Energie wird schnell herab gefahren, das Piano setzt mit kraftvollen Akkorden ein und entführt in die bittersüße Tiefe wohliger Melancholie. Die Gesangsparts sind teilweise erheblich süßlich bis kitschig, ohne aber wirklich negativ aufzufallen. Die Story wird in etlichen Stücken instrumental erzählt, die Gesangsparts dazwischen sind im klassischen Chor exzellent anzuhören, wenn Leadsänger Sebastián Median singt, wird es weniger aufregend, weil die Gesangslinien, typisch neue Rockmusik, nicht besonders ausgefeilt sind. Aber erst im Refrain tut es weh. Die Tango Version des Hauptthemas zum Ende der CD bringt einen folkloristischen Ton ein, der zum Schluss überraschend und verflixt genial kommt. Wer nicht auf Harmonie steht und den oben genannten Einflüssen nichts abgewinnen kann, muss nicht sofort zugreifen. Jedoch, dieses große Ensemble hat intensiv gearbeitet und sich bis ins Detail viel Mühe gegeben. "William Grey" ist ein überraschend tolles Neoprog Album auf sehr hohem spielerischem Niveau. Reinhören!

Volkmar Mantei



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