CD Kritik Progressive Newsletter Nr.58 (02/2007)
Brian Davison's Every Which Way - Brian Davison's Every Which Way
(39:01, Long Hair, 1970)
"Every Which Way" - ein passender Name. Welchen Weg soll man einschlagen, wenn man als Musiker ganz oben stand und dann wieder ganz von vorne beginnen muss? Brian Davison war Drummer der Erfolgsband The Nice. Als Keith Emerson die Gruppe 1970 auflöste, gründete Davison mit befreundeten Musikern, darunter Sänger Graham Bell, seine neue Band. Doch während Emerson bekanntlich zum Megastar aufstieg, taten sich seine einstigen musikalischen Begleiter deutlich schwerer. Bassist Lee Jackson gründete die Jackson Heights mit denen er vier erfolglose Alben aufnahm. Auch Davison erging es leider nicht besser, denn der erhoffte Erfolg blieb aus. Nach nur einem Album zerbrach die Gruppe an musikalischen Differenzen innerhalb der Band und mit der Plattenfirma. Das Album geriet in Vergessenheit. Zu Unrecht, denn die Musik hat die Zeit erstaunlich gut überdauert. Mit dem Orgel-lastigen Progrock von The Nice hat dieses Album allerdings nichts gemeinsam. Es gibt hier keinen Keyboarder, schon gar keinen, der mit seinen Egotrips die Musik dominieren will. Davison zeigt als Bandleader keinerlei Ambitionen, in Emersons Fußstapfen treten zu wollen. Er ist nicht einmal am Songwriting beteiligt, dafür zeichnet hauptsächlich Graham Bell verantwortlich. Man könnte glauben, die Drums stünden im Vordergrund, doch weit gefehlt. Davison hält sich merklich zurück und spielt bandtauglich. Das gilt auch für alle anderen beteiligten Musiker. So entsteht ein angenehm entspannter Sound, den manche gerne "Kiffer-Musik" nennen. Kein Musiker drängt sich übermäßig in den Vordergrund, es geht eher darum ein stimmiges Ganzes zu kreieren. Das heißt aber nicht, dass es nicht immer wieder exzellente solistische Leistungen gibt, die clever in den Gesamtsound eingebaut sind. Das Stück "Bed ain't what it used to be" eröffnet das Album, mit 9:30 Minuten die längste Komposition. Graham Bells etwas bluesgetränkter Gesang ist phänomenal. Dazu passt die geschmackvolle Instrumentierung mit akustischer Gitarre (von Bell gespielt), John Hedley's singender E-Gitarre, Alan Cartwright's melodischer Bass und eben auch Brian Davison's verhaltenes Drum- und Percussionspiel. Für das solistische Glanzstück sorgt Geoffrey Peach mit einem langen, sehr jazzigen Saxophonsolo. "Castle sand" ist ein weiteres Highlight. Noch eine Spur ruhiger als der Vorgängersong, bietet er eine wundervoll gefühlvolle Melodie, von Bell grandios gesungen. Wieder ist es Peach, diesmal mit seinem Flötenspiel, der dem Song Atmosphäre und Tiefe gibt. "Go Placidy" ist eine akustisch instrumentierte Ballade, wunderschön. Mit "All in time" legt die Band mal einen Zahn zu. Eine Tolle Melodie die gleich ins Ohr geht, jazzige Exkursionen auf dem Saxophon und eine Rhythmusfraktion die zeigt, dass es auch dynamisch rockiger geht, zeichnen den Song aus. Bells Gesang (eigentlich sogar der ganze Song) erinnern mich an Traffic, ohne das als Vorwurf zu meinen. Highlight des Stückes ist aber ein grandioses, mehrere Minuten lange Duell zwischen E-Gitarre und Saxophon. "What you like" ist das rockigste (und mit 3:42 Minuten kürzeste) Stück des Albums, wieder kommt ein gewisses Traffic-Feeling auf. Den Abschluss bildet "The light". Hier greift Graham Bell erstmals auch zum E-Piano. Hedley' darf seine E-Gitarre nochmals richtig schön singen lassen, bevor das leider viel zu kurze Album zu Ende gehen muss. Wer ausschließlich auf komplexesten Progressive Rock steht, wird mit dieser Musik nicht glücklich werden. Doch offenbart das Album mit jedem neuen Hören immer neue Facetten. Was Anfangs vielleicht etwas langwierig erscheinen mag, wird immer stimmiger und passender. Ein Album mit Langzeitcharakter, darüber hinaus mit einem fetten, detailreichen Sound aufgenommen. Toll.
Andreas Kipp
© Progressive Newsletter 2007