CD Kritik Progressive Newsletter Nr.55 (04/2006)
Strangefish - Fortune telling
(64:55, Privatpressung, 2006)
Strangefish haben mit "Fortune telling" gerade ihr zweites Album herausgebracht, und spätestens hiermit sind sie für mich zu eine der führenden Addressen in Sachen britischen Neo-Progs geworden. Sie haben bereits einen charakteristischen eigenen Sound entwickelt, bei dem ich nicht befürchte, dass er sich bereits nach zwei oder drei Alben totgelaufen hat. Nein, von ihnen erwarte ich noch eine Menge. Ich bin nicht unbedingt ein Neoprog-Vielhörer, aber wenn ich mal Neoproggiges hören will, dann genau etwas der Art, wie es Strangefish hier fabriziert haben. Das ist für mich eindeutig hochklassiger Neoprog, bei dem es nur so von tollen Melodien und einfallsreichen Arrangements wimmelt. Nach einigen Hördurchläufen haben sich fast alle Songs bedingungslos in meinen Gehörgängen festgesetzt und es kommt keinerlei Langeweile bei mir auf, wenn ich das Album erneut einlege. Interessant, dass neben Jadis als Vergleichsmoment für mich auch ein Name fällt, der mit Neoprog rein gar nichts zu tun hat: Gentle Giant. Beim Titel "Random" ist schon ein kleiner GG-Tupfer herauszuhören, noch deutlicher wird dies aber bei "Have you seen the light?", bei dem Sänger Taylor gerade zu Beginn exakt wie Derek Shulman klingt. Ob das reiner Zufall ist? Das geht bei mir glatt als ein lost track vom Gentle Giant-Album "Giant for a day" durch. Okay, das Album ist in GG-Fankreisen eher verpönt, mir sagt auch klar die Früh-70er-Phase (bis etwa 75) deutlich mehr, aber "Giant for a day" hat durchaus Witz - und kann mir gefallen, wenn ich die Vorgeschichte der Band einfach mal ausblende. Was ich sagen will: dieser flotte Strangefish-Song macht Laune und ist eines der vielen Highlights des Albums. "Reflection" erinnert stark an Jadis, gerade was die Gitarrenarbeit betrifft, die Keyboards wildern oft im typischen Neoprog-Gefilde, und Sänger Steve Taylor ist als klarer Pluspunkt zu verzeichnen, wobei ich denke, dass die rockigen, dreckigeren Parts ihm besser zu Gesicht stehen als die soften Nummern. Das Geigenspiel, ob nun zuckersüß wie auf "360 degrees" oder eher Fairport Convention-mäßig wie im Abschlusssong, ist ein weiteres Mosaiksteinchen, das für ein rundum gelungenes und abwechslungsreiches Album sorgt. Und auf die Idee, ein Neoprog-Album mit einer Art Prog-Jig abzuschließen, der bestimmt zu den Höhepunkten des Live-Programms gehören dürfte, muss man auch erst mal kommen. Ein tolles Album, das schlicht und einfach eine Menge Spaß macht!
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 2006