CD Kritik Progressive Newsletter Nr.55 (04/2006)

Panzerballet - Panzerballet
(50:26, Bad Land Records, 2005)

Die populäre Musik rühmt sich oft damit, mit welch simplen Mitteln ihr doch (angebliche, und nach kurzer Zeit aus dem allgemeinen Gedächtnis entflohene) Geniestreiche gelingen. Weniger ist mehr, ohne großen Aufwand, schlicht und ergreifend - um die Abwesenheit von Inhalt in moderner Musik auszudrücken, ist kein Spruch zu schlicht. Allerorten sind Charts an hirntoten Tagesschlagern erstickt, potentielle Musikliebhaber durch Dauerbedröhnung dämlicher Popmusik verdorben. Alles tendiert zum Einfachen, Billigen, Dummen, selbst in der progressiven Musik ist dieser Gedankengang anzutreffen. Je weniger komplex moderne Musik ist, umso weniger reift Verständnis für alte und klassische komplexe Musik nach. Gewiss ist es nicht nur ein Häuflein Aufrechter, der sich dem mit inhaltsschwerer und erfahrungsreicher Musik entgegenstellt. Doch die Akzeptanz für komplexe Musik ist in großen Medien verschwindend, findet dort nur in schmalen Randbereichen des Feuilletons statt. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Liebhaber anspruchsvoller Musik gibt. Keineswegs bierernst oder sauertöpfisch ist, was der "Underground" - der gar keiner ist - so an komplexer Musik produziert und auf Seiten der Fans konsumiert. Die Palette ist riesig, (fast) alle modernen Stile haben ihre komplexen Seiten, selbst der Rhythmustod namens Techno. Die Jazzrocker Panzerballett haben sich die Devise "Warum einfach, wenn es auch schwer geht!" ins Stammbuch geschrieben. 8 Tracks sind auf dem Debüt der Band enthalten; 8 Tracks, die nicht oft genug gehört werden können. Sämtlichst instrumental und von erheblicher Vitalität zeugen sie von großer Spielfreude, solistischem Abstraktionsvermögen und erlauchtem Witz der Musiker. Jan Zehrfeld (g), Gregor Bürger (ts), Flo Schmidt (b) und Max Bucher (dr) sind, so scheint es, eine dieser magischen Bands, deren qualitative Quersumme zu genialen Streichen führt. Ihre Musik hat viel Jazz, heftigen Funk, harten Rock, komplexe Rhythmen und ist in jeder Sekunde schön aufwendig und schwer, ohne dabei arrogant oder blasiert zu sein. Im Gegenteil, die Jungs haben eine Musik gezaubert, die beschwingt, heiter bis lustig, unverschämt frech und würzig ist; deftig rockend und radikal krachend jagen die Songs aus den Boxen. Und da gibt es vieles, was schon im Jazzrock vor 30 Jahren stattfand und dort für Qualität sorgte: Unisonoläufe und solistische Eskapaden zum Beispiel. Aber auch metallische Gitarrenriffs, fast schon triphoppige Rhythmen (Aspirin Smoke), Doublebass-Attacken und wundervolle Melodien, zum Beispiel in "Schmitz Kadtse", einem der schönsten Tracks der CD (warum nur erinnert mich der Titel an die Jazzrocker Das Pferd?!?). Das feinste Gitarrensolo (der etlichen) findet meiner Meinung nach zum Ende von "Reload" statt. Der komplexeste Rhythmus macht "Schmidts Kadtse" so herzhaft süffig und rund, "Iron Maiden Voyage" hat das bluesigste Thema, das so unglaublich schön von Saxophon und Gitarre auseinander genommen wird. "Meschugge" ist eine Hommage an die schwedischen Avantmetaller Meshuggah, ohne sich die Mühe zu geben, derart hart und zerhackt zu klingen wie das schwedische Original. Dafür ist das Motiv von genießerischer Abstraktion und fett rockender Jazz-Dynamik. Zweitschönster Track ist das letzte Stück "Zickenterror", der einer bezaubernd blöden Sopranistin gewidmet ist, die es mit dem Saubermachen hat. Die 4 Minuten sind fast zu knapp, das tolle und ungemein flotte, geradezu hymnisch flitze-flotte Thema auszudrücken. Live ist "Zickenterror" gewiss Basis für mörderische Soli oder improvisative Exkursionen in endlose Wildheiten. Dann gibt es da noch Track 9, der schön zeigt, wie die Band drauf ist: nix kopflastig. Die alltäglichen Vorurteile gegenüber komplexer Musik kann man hier getrost entsorgen und sich mit hingebungsvollem Genuss und geschnittenen oder langen Fingernägeln dem Lauschen der Klänge widmen.

Volkmar Mantei



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