CD Kritik Progressive Newsletter Nr.55 (04/2006)
Ange - ?
(67:59, UPDLM, 2005)
Das längst überfällige neue Album von Ange präsentiert eine Besetzung, die bereits im Februar 2004 in Verviers zu sehen war, und die sich ein wenig weg vom typischen Prog und mehr hin in andere Gefilde bewegt. Mittlerweile ist mit Benoit Cazzulini ein neuer Schlagzeuger am Start, außerdem gehört Carolin Crozat nun zum festen Line-Up. Es ist ja nun wahrlich nicht so, dass es dieser Band an guten Sängern fehlt - neben Decamps senior und junior darf sich diesmal auch Gitarrist Hassan Hajdi diesbezüglich beweisen. Aber mit der stimmgewaltigen Frau Crozat ist nun eine weitere Komponente hinzugekommen. Zwar fällt sie anfangs kaum auf, da sie zunächst lediglich als Backgroundsängerin fungiert. Doch im weiteren Verlauf des Albums darf sie auch mal die Rolle der Leadsängerin ausfüllen. Das vorliegende Werk bietet abwechslungsreiche Kost, die mich allerdings nur in Teilen überzeugen kann. Vom symphonischen Progressiv-Rock haben sie sich weitgehend verabschiedet. Manches wirkt synthetisch-kalt, dann wieder mit der typisch-französischen Theatralik versehen, auch Abstecher ins Chansonartige sind vertreten. Das fast 10minütige "Histoire d'Outre Reve" erinnert ein wenig an ihr damaliges Comebackalbum "Seve Qui Peut", aber Erinnerungen an alte Ange-Alben kommen ansonsten eher selten auf. Die stärksten Nummern gibt es am Ende des Albums, wo mich vor allem das abgefahrene "Passeport Pour Nulle Part" mit coolem Gitarrenpart und ausgefallenem Trompeten- und Flöteneinsatz beeindruckt. Mit "?" legen sie zwar keinen radikalen Richtungswechsel hin, sondern bringen ein paar neue Farbtupfer in das ansonsten bekannte Ange-Universum, aber es bleibt abzuwarten, ob sie sich zukünftig noch weiter vom Prog im klassischen Sinn entfernen und die neu eingeschlagenen Pfade weitergehen. Kein Highlight in der langen Karriere der französischen Vorzeigeband, aber immerhin ein durchschnittliches Ange-Album, und das allein ist schon mit einer gewissen Mindestqualität verbunden. Es bleibt spannend, was zukünftig noch von ihnen zu erwarten ist.
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 2006