CD Kritik Progressive Newsletter Nr.54 (01/2006)

Ricochet - Zarah / A Teartown story
(72:24, Privatpressung, 2002)

Da ist man stets als Jäger und Sammler im Progressive Rock unterwegs, doch nicht immer hat man im undurchsichtigen Veröffentlichungsdschungel alles im Überblick, und hin und wieder geht einem doch was durch die Lappen. So trudelte eines abends ganz unverhofft eine email einer mir bis dato völlig unbekannten deutschen Band im heimischen Postfach ein, mit der Bitte, doch ihren nächsten Auftrittstermin zu veröffentlichen. So ganz nebenbei fällt noch die Bemerkung, ob denn Interesse am letzten Album der Band bestehe. Schon ein paar Tage später rotiert dann besagtes Album im CD Player und die Überraschung ist in mehrerer Hinsicht perfekt. Die aus Hamburg kommenden Ricochet sind nämlich keineswegs Newcomer, bereits mit dem 96er Debüt "Among the elements" konnte man beachtliche Verkaufszahlen erreichen, tourte im Anschluss an die CD Veröffentlichung im Vorprogramm von Yngwie Malmsteen und spielte ebenfalls auf dem prestigeträchtigen Wacken Open Air. Doch vor allem nach dem Ausstieg des Sängers René Jobig fiel die Hamburger Formation in eine Art Wachkoma, aus der man sich erst wieder nach jahrelanger Suche mit dem stimmgewaltigen Neuzugang Christian Heise am Mikrofon lösen konnte. Das Konzeptalbum "Zarah - A Teartown story" erschien 2002, welches nun mit einiger Verspätung auch dem Herrn Hauptschmierfink vorliegt. Zuerst einmal Entwarnung: wer bei der Stilbeschreibung Prog Metal bereits die Krise kriegt und einen weiteren Dream Theater Klone erwartet, liegt hier völlig falsch. Zwar sind Ricochet heavy und zum Teil metallisch inspiriert, doch genauso viel Augenwerk wird auf ausladend sinfonische, neo-progressiv wirkende Einflüsse gelegt, stechen aber vor allem die griffigen Melodielinien bereits beim ersten Durchlauf heraus. Und eigenartiger Zufall oder nicht, je länger man sich "Zarah - A Teardown story" anhört, um so mehr finden sich bei Richochet gewisse musikalische Parallelitäten mit den ebenfalls aus Hamburg kommenden Sylvan. Die eigentliche Stärke von Ricochet liegt dabei in der lockeren, spielerischen Vermischung aus druckvollen und sanfteren Parts, die von einer leicht melancholischen Grundstimmung durchzogen sind. Gefestigt wird der positive Gesamteindruck zudem durch eine satte Produktion, die sowohl die aggressiven, wie auch zurückgenommenen Passagen bestens zur Geltung kommen lässt. So wechselt elegischer, aber nie sinnentleerter Bombast mit moderater Härte ab, was letztendlich perfekt im über 13-minütigen "A new days rising" gipfelt. Hoffentlich geht es noch mehr Hörern wie mir, die diese Band noch nicht kennen und eine willkommene Überraschung erleben. Ein Album für ein breites Publikum, welches ohne jegliche Plattitüden und 1000-fach gehörte Zitate zu überzeugen weiß. Und vielleicht bekomme ich ja vom nächsten Longplayer etwas eher was mit...

Kristian Selm



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