CD Kritik Progressive Newsletter Nr.54 (01/2006)
Rascal Reporters - Ridin' on a bummer
(76:49, Hebbardesque Records, 1984)
Chris Cutler, ehemaliger Schlagzeuger der Avantrocker Henry Cow und Betreiber des britischen ReR Labels, meinte einst, in den 1970ern sei am wenigsten progressive Musik gespielt und veröffentlicht worden. Das war natürlich reine Provokation. Ein kleines Aufbegehren gegen den immer mehr in den Mainstream marschierenden und nicht nur in seinen Augen eindimensionalen Progressive Rock. No Wave und Punk trafen da eher das Interesse des eigenwilligen Musikers und Labelinhabers, jeweils in ihren extravaganten Inkarnationen. Auf der anderen Seite gab es genügend an progressiver Musik interessierte Musiker (von denen es heute nur wenige gibt), die dem allgemein symphonischen Schönklang extrem eigenwillige und schräge Töne entgegenbrachten. Aus heutiger Sicht ist so vieles "progressive" genannt, was es eigentlich nicht ist. Und Rascal Reporters waren nie "progressive", wenn man die allgemeine Definition gelten lässt, das symphonischer Schönklang im Bombast aufgehen möge, um Progressive Rock zu gebären. Rascal Reporters standen philosophisch wohl eher dem Punk nah, obwohl Punk, nicht nur aus heutiger Perspektive, nostalgisch schöngeredet wird und musikalisch größtenteils ein ganz großes Nichts war. Vielleicht ist das Duo Rascal Reporters irgendwo im Nirgendwo zwischen Progressive Rock, No Wave und der Philosophie des Punk zuhause, mitten im großen Sumpf aller möglichen Klangvarianten, die im Untergrund der 80er Jahre schmorten. Den Anfang fand das Duo in den 70ern, definitiv in der Extravaganz des Progressive Rock der 70er, im "gehobenen" Anspruch der "guten" Rockmusik. Doch davon ausgehend tendierte das Duo mit seinen illustren Gästen in eine ganz persönliche Eigenwilligkeit, die unvergleichlich bleibt, wenn man mal von artverwandten Bands absieht, die teils "progressiver", teils "punkiger" klangen (etwa die begnadeten Italiener Picchio Dal Pozzo). Der dritte Song des jetzt remastert (ist so was philosophisch erlaubt?) vorliegenden Albums, das 16-minütige "RIO", beweist die Ausgefallenheit der Band. Geschrieben wurde der Song von Fred Frith, der neben den Muffins aktives Gastmitglied der Einspielungen dieser Sessions war. Es gibt keine verfrickelt komplexen Passagen, hingegen äußerst seltsame Arrangements, die sich auf damals frischen und ungegangenen Pfaden bewegten. Hört euch den Track an, und staunt darüber, dass nichts sich zu bewegen scheint, bis man merkt, dass diese komischen Melodie-Dinge ein Eigenleben haben und sich nach und nach lebhaft durch die Minuten schieben. Seltsam, nicht? Aber im Laufe der Minuten wird klar, dass das Stück funktioniert. Und plötzlich eröffnet sich das ganze Album (mitsamt den 9 Bonustracks der CD). Dieses kuriose Melodiebündel aus viel canterburianisch geprägtem Keyboardsound und eigenwilligen Schlagzeugfiguren fängt an zu leben. Musikalisch sind die Songs ein kurioses Sammelsurium clownesker Fantasien. Wenn Prog schräg ist, muss hier von einer bedeutenden Schieflage gesprochen werden. Henry Cow lässt grüßen, The Muffins winken. Die Stücke sind Avant Nonsens pur, ein großer Spaß, virtuoses Krachmachen mit Sinn und Verstand, aber ohne konkret melodisches Ziel. Unterhaltsam für Leute mit starken Nerven. Undurchdringliche, verwischte Arrangements treffen in seltsamem Spiel zwischen sanfter Aggression und dissonanter Melancholie aufeinander. Dynamik ist ein Fremdwort; bewusst gesetzte Lethargie in verspielten Melodien, die erst unsinnig erscheinen, aber höchst komplex sind, lösen sich in eingängigen Formeln auf. Das Duo wollte damals "Ridin' on a bummer" als Doppelalbum veröffentlichen, die schrägen Songs durchzogen von Popdingsdabumsdas. ReR sagte No, und das Studio sah die Band nur für die schrägen Songs. Damals schon schließlich auf eigenem Label veröffentlicht, sind die 80er schon herauszuhören. Es wird nie so genial wie bei z.B. Picchio Dal Pozzo, die des RIO Krönung sind, aber immerhin sehr interessant. Die 80er taten keiner Band gut, auch Rascal Reporters nicht, zwar wurde die Idee der 2LP gestoppt (und die Popsongs im Nichts beerdigt), aber allein die Idee zeigt die allgemeine Schädigung der Musiker, was vor allem in den Bonustracks nachzuhören ist. Heute sind die 17 Stücke der CD eine Einheit. Ob nun früher oder später eingespielt (die Zeitpalette reicht von 1976 bis 2004) oder die originalen Songs der LP, alles ist thematisch und arrangementtypisch ein unorthodoxer Weg zwischen den Welten. Es gibt, wie auf den beiden anderen bisher veröffentlichten Rascal Reporters CDs äußerst seltsame und bisweilen erheblich extravagante Songstrukturen zu hören, die entweder ob ihrer fröhlichen Lustigkeit anziehen oder ihres seltsamen Eigenklanges abstoßen. Nun, damit findet Rock In Opposition, teils im Kleid des No Wave, zu einer ausdrucksstarken Variante, die nur zu empfehlen ist. Wer offene Ohren und Sinne hat, Prog, Punk und Seltsames dazwischen vertragen mag, kann das 3. Reissue der Band lieben. Auf alle Fälle ist die CD ein Test für offene Ohren, für die Weite der Sinne sind und für die Offenheit und Freiheit des Geistes. Testet euch selbst!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2006