CD Kritik Progressive Newsletter Nr.54 (01/2006)
Hoppy Kamiyama - A meaningful meaningless
(75:02 + ca. 29 min. DVD, Creage / Yamaha Corporation, 2005)
Hoppy Kamiyama ist einer der seltenen ungemein inspirierten Musikkünstler, denen die Phantasie nicht ausgeht. Er hat Avantgarde Funk gespielt, Free Jazz mit Electronic verknüpft, klassische Neue Musik, Heavy Rock und japanischen Schlager komponiert, die eigenwillige Girlie-Combo "Ex-Girl" produziert oder einfach den Wind über Gras rauschen lassen und das "Insects Dream" genannt. Die Welt von Hoppy Kamiyama ist voll der unvorstellbarsten Dinge, nicht von ungefähr nennt er sich Slide-Geisha, tritt er überzeugend als Transvestit auf, wo man ihn nicht als Mann vermutet. Seine jüngste Produktion, als CD+DVD im dicken Digipack erschienen und wieder einmal mit sensationell verrücktem, an Informationen dünnem Artwork ausgestattet, beginnt mit dem Intro "Risqué Business", das an seine "kommerzielle" Produktion "Gessyoku" erinnert (die erfolgreich in Japan gelaufen ist und zwischen freier Avantgarde, japanischem Schlager, wilden Klassik-Verdrehungen, fröhlichem Folk, Heavy Metal und heftigem Progressive Rock ausgelassen hin und her schlendert...). Aber schon der zweite Track, "Looper Dooper", macht klar, wohin Hoppy Kamiyama sich mit "A meaningful meaningless" bewegt. Zwischen den japanischen Schriftzeichen im beiliegenden Faltblatt ist nur "200 Motels" in lateinischen Lettern zu erkennen. Und nach dem kurzen und lustigen Dance-Beginn des 8-minütigen Tracks wird die Sache klar: "A meaningful meaningless" ist ganz deutlich von der Musik (und Lyrik, was sich später erweist) Frank Zappas inspiriert. Eingespielt wurden die 14 Songs der 75-minütigen CD im großen Ensemble; viele Sänger, Bläser, Streicher für klassische Passagen, die Daimonji-Besetzung und viele weitere bedienen eine Menge Instrumente. Darunter: Marimba, Vibraphone, Wave-drum, Chin, Turn Table, Harfe, Trompeten, Flöten, Klarinetten und Saxophone. Das volle Programm wird nicht nur in der Menge der Instrumente geboten, sondern vor allem in der melodischen Sprache der Songs. "Looper Dooper" ist nur der Beginn einer Serie von zappaesken Überraschungen auf der CD. Hoppy klaut gewisse Motive ganz offensichtlich, während die Gesamtproduktion typisch Kamiyama ist. Denn so sehr das Werk an Zappa orientiert ist, ist es doch keine Kopie, sondern eine eigenständige und eigene Produktion, die in vielen Momenten unvergleichlich ist. "schmaltz # 1" ist ein, typisch Hoppy Kamiyama, erfrischendes Nonsens-Motiv mit gerade einmal 22 Sekunden Lebensdauer, als Keil vor das folgende "U-tan (To tell a pack of lies)" eingehämmert. Die 10 Minuten von "U-tan" improvisieren grandios über ein von Zappa inspiriertes Motiv. Das große Ensemble greift schwer aus, der volle Klang ist beeindruckend. Es gibt immer wieder intime Einbrüche, in denen wichtige, emotional ruhige Punkte angelaufen werden. Ebenso flippt der Track vollkommen aus und Tatsuya Yoshida holt zum Singen aus... Die sagenhafte Fülle an diversen Motiven und Melodien ist ungemein spannungsreich gespielt worden. Wer bisher hat wohl auf eine virtuose Percussion Passage Scratches gemixt, die das Ganze in hymnischen Prog Bombast mit lautmalerischer weiblicher Opernstimme gipfeln lässt? "Kali d'Amour", über 12 Minuten lang, birgt wieder diese extreme, faszinierende, vielfältige Überraschungsdichte des vorherigen Tracks. Der Narrator Dennis Gunn (sonst würde es wohl Nallatol heißen, oder?!?) erzählt eine, soweit ich es verstehe, respektlose Geschichte. Das freche Stück sampelt Katzenmiauen, wechselt zwischen erzählendem Jazzrock und witzig-frischen, humorigen Passagen, gibt den Blasinstrumenten schön Raum und bricht mitten ab, wird zum Jazz und findet zu heftigen Rockstrukturen, die nur überwältigen. Was für ein Stück! Wie komponiert man so etwas? Wie überhaupt kommt man auf diese Sammlung von 1000en von Ideen in einem Song? Das klingt nach jahrelanger Arbeit, allein die Ausnotierung der einzelnen Instrumente, wie der Harfe und des Vibraphons! Eine Orgie, dieser Track! Ein Genuss mit ungeahnten Überraschungen! Ein Traum von Musik für Zappa-Süchtige und Avant-Prog-Freaks. Aber längst keine Zappa-Kopie! Danach lässt es Hoppy Kamiyama mit "To cast pear's before Swine" etwas ruhiger, aber nicht weniger abstrakt und grandios angehen. Die Komposition hat einen Hang zur Elegie, rauscht verzückt dahin und ist doch durch und durch strukturiert. Akustische Gitarre, Bläser, Marimba, Schlagzeug und Kamiyamas Keyboards bauen eine schöne Pause in das Album ein. 5 Minuten galante Unterhaltung, rhythmisch wie motivisch zappaesk, und wieder sehr eigen und unvergleichlich. Der siebte Track "Knock on food" zermürbt heftig. Fast 5 Minuten lang gibt es wilde elektronische Eskapaden zu hören, sehr angenehm und in ihrer eigenwilligen abstrakten melodischen Figur hinreißend, jedoch - mit einem lauten, alles in den Boden stampfenden Technobeat! Jedoch ist die melodische Sprache des Stückes so grandios, dass der Technorhythmus zu ertragen ist und irgendwie ins Unbewusste entschwindet, während die harmonische Struktur faszinierend bleibt. "fountain of Love" ist ein weiterer 12-Minüter. Narrator Dennis Gunn eröffnet in ein extrem schräges Sample-Gewirr aus klassischer Avantgarde und Comic-artigen Sounds. Das ist sehr anmutig, allerdings von einer Alles bestimmenden, vollkommenen Verrücktheit. Hühnergackern, rhythmische Nackenschläge, Opernstimmen, elektronische Aufplatztöne, Narrator. So geht es fort und fort. Wie ist die Steigerung? Schräg, schräger am schrägsten? Allein, die Mischung macht's. Die weibliche Opernstimme kommt wieder, vor dem Hintergrund romantischer Klassik, worauf der Erzähler die Story weiter spannt und zunächst über den Penis referiert. Die Fülle der Samples und gespielten Parts ist nicht aufzuzählen, es gehört sicher eine Menge verrückter Ideenvielfalt dazu, das zusammen zu basteln. Das Resultat ist über die gesamte Zeit absolut unterhaltsam, wie ein total abgedrehter Comicstrip. In den letzten zwei Minuten des Tracks übernimmt die Rockband und führt das Teil nicht minder schräg weiter. Narrator, Penis - und Schluss. "Lady Grubb" im Anschluss baut wieder auf ein Zappa-inspiriertes Motiv, das allerdings zwischen Rockband und elektronischem Soundkosmos wechselt und knappe 4 Minuten weitere verrückte gute Unterhaltung bietet. "spasm # 2" als halbminütige elektronische Autobahntalfahrt bringt die Emotionen wieder etwas runter und baut die Sinne für das folgende "To make a hit" auf. Vier heftige Zappa-Kamiyama-Minuten rocken sich aus den Boxen. Ohne Frage ein starkes Stück, einfallsreich, melodisch vielfältig, radikal verspielt und wunderschön. "Everyday I have the Bruise" nimmt das asiatisch nicht zu sprechende R aufs Korn und meint statt Blues schlicht Bruise (blauer Fleck). Der respektlose Song ist nicht zu zügeln und wie der Monsterheld in der Schlacht, er marschiert einfach durch. Da kann man nur mit und sich in der Genusshängematte von der Druckwelle der Energie des Stückes schaukeln lassen! Der 3-minütige Titeltrack erinnert wieder an "Gessyoku", aber auch an Ruins oder Magma, der Gesang klingt wie ein Sturm, dazu die harte elektrische Gitarre. So klingt Revolution! Zum Schluss geht es in "A bolt from the Blue" in erhebend forscher Weise romantisch-klassisch zu. Bläser, Harfe, Perkussion und Streicher reißen in einen berauschenden Strudel mit, dem die weibliche Opernstimme wieder einmal die lautmalerische Krönung aufsetzt. Danach ist die CD zu Ende. Zurück bleibe ich wie nach einem guten Buch oder einem interessanten Film, reich an Erfahrung, aber irgendwie allein gelassen und immer noch im Wirbel der Musik gefangen. Als Hilfe fürs Überleben - oder zum besseren Wiederankommen im musikfreien Alltag liegt dem Ganzen eine DVD bei, bei deren Genuss man das Album "A meaningful meaningless" angerissen im Schnelldurchgang noch einmal zu hören bekommt. In circa 28 Minuten gibt es Motive der CD, herausgerissen und zu neuen Tracks verbunden, was einmal mehr faszinierend ist. Dazu die Bilder - und der Rausch setzt wieder ein. Seltsame Farben, Körper, Bewegungen, Comicfiguren und verfremdete Aufnahmen der Band inklusive der Operndame irritieren und verwirren, ziehen an und stoßen ab, verblüffen mit ihrer seltsamen Kunstsprache und typisch japanischen Fülle. Ein eindrucksvolles Werk, dessen 28 Minuten nicht zu kurz sind. Das potentielle Publikum für diese Orgie an CD dürfte nicht klein sein. Jazzfans, Zappafreaks, Avant-Prog-Süchtige und allgemein Musikneugierige werden so ihre Überraschungen erleben, wenn sie in diesen Kosmos stürzen. Die Frage ist, ob sie wieder heraus und nicht darin versunken bleiben wollen. Ein wildes Meisterwerk voll unerschöpflicher Kraft und fröhlichem Genie. Daran kann man einfach nicht vorbei.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2006