CD Kritik Progressive Newsletter Nr.54 (01/2006)
Glass - Illuminations
(62:48, Musea, 2005)
Nachdem das amerikanische Trio Glass wie viele andere kleine Progbands der 70er Jahre sang- und klanglos von der Bildfläche verschwand, meldet sich die Formation 2005 nach erfolgter Reunion in Originalbesetzung mit einem neuen Album zurück. Während andere Bands des Genres nach einer progressiven Funkstille von über einem Viertel Jahrhundert auf ihrem Reunionalbum auf der Suche nach dem Sound vergangener Tage sind oder diesen entschieden über Bord geworfen haben, knüpfen Glass nahezu nahtlos an ihre Phase aus den 70er Jahren an. Bereits damals zeigte sich der Sound der Band von einer Mixtur aus klassisch symphonischer Rockästhetik und schwirrenden Elektronikklängen geprägt. Auch im 21. Jahrhundert werden auf dem aktuellen Output "Illuminations" weit ausladende Symphosounds mit elektronisch-kühler Anmut verwoben. Hieraus entstehen pulsierende Klangflächen, die sich mosaikartig zu einem erhabenen Breitwandsound verweben. Die symphonische Wärme des klassischen Progrocks vereint sich mit elektronischer Unterkühltheit zu einem homogenen Gesamtbild. Der Instrumentalsound von Glass schwingt sich von zerbrechlicher Zurückhaltung zu angejazzt-euphorischer Versponnenheit. Während der Einstieg in Form der "Overture" mit dem Wechsel von dynamisch glänzenden Hammondklängen und weichen Mellotronteppichen von der instrumentalen Seite her noch traditionell progressiv eingefärbt ist, wird diese symphonische Basis im weiteren Verlauf von einem behutsamen Experimentiergeist durchdrungen. Der Bogen wird dabei nie in Richtung strukturloser Avantgarde überspannt. Ganz aus dem Verborgenen tritt auch bisweilen mal eine Verbundenheit mit dem Canterburysound der Marke Soft Machine hervor. Hiervon zeugen auch Gastauftritte des Soft Machine-Musikers Hugh Hopper am Fuzz Bass im Fall des Titels "Isle Of Dyslexia" und der beiden Canterbury-Größen Phil Miller und Richard Sinclair im Schlußsong "Gaia". Die 15 Kompositionen zeigen sich von einem zeitlosen symphonisch-experimentierfreudigen Geist durchdrungen, der in kontrastreichen Klangfarben mündet. Titel wie "The Hidden Room" und "Crossing" bieten die spröde Sterilität des Erbes des deutschen Elektoniksounds der Marke Tangerine Dream. Es herrscht ein zeitloser Schulterschluss von symphonischem Erfindungsreichtum und rückwärtsgerichteten Reminiszenzen vor. Hier liegt eine sehr erfreuliche Rückkehr einer äußerst versierten Formation vor, die keinerlei Zugeständnisse an einen progrockigen "Massengeschmack" bietet, sondern ganz auf die innovative Kraft der drei Hauptakteure setzt. Im Schnittbereich zwischen wohliger Symphonik, wabernder Elektronik und verhaltener Jazzästhetik bietet "Illuminations" eine willkommene Klangreise.
Horst Straske
© Progressive Newsletter 2006