CD Kritik Progressive Newsletter Nr.53 (09/2005)

Barclay James Harvest - Live
(75:21, Eclectic Discs, 1974)

Hinter dem Titel "Live" verbirgt sich nicht nur das erste Livealbum von Barclay James Harvest, welches auch gleichzeitig als Abschluss der Zeit bei Harvest gesehen werden kann, sondern dieses Album brachte zudem der Band den ersten Einstieg in den britischen Longplayercharts. 1974 kurz nach der Veröffentlichung von "Everyone is everybody else" aufgenommen, unternimmt die Band eine geschmackvolle Reise durch ihre ersten vier Alben und präsentiert von diesen die besten Titel in wirklich begeisternden, ausschweifenden Versionen. Die ausufernden Kosten, vor allem bedingt durch die Orchesterbegleitung auf den ersten Alben, sowie zusätzlich leider wenig berauschende Verkaufszahlen, erwiesen sich zwar einerseits als finanzielle Belastung, aber andererseits auch als Chance für die Band. Ohne Orchesterbegleitung, nur in der klassischen 4er Besetzung aufgenommen, entfalten die aufs Wesentliche reduzierten Neueinspielungen auf der Bühne auf einmal ihre volle Pracht. Barclay James Harvest klingen wesentlich roher, energetischer, die schwelgerische, dramatische Kraft der Aufnahmen ist keinesfalls zu vergleichen mit dem wesentlich glattgebügelten Sound der 80er, mit der die Band vor allem in Deutschland satte Erfolge feierte. Besonders für Mellotron Fans ist "Live" ein wahres Freudenfest. Wolly Wolstenholme gelingt es auf raffinierte Weise, aus dem Instrument immer wieder neue klangliche Raffinessen herauszukitzeln, und gerade im Zusammenspiel mit Gitarrist John Lees geraten auch die Instrumentalteile zu einer klanglichen Wohlfühlorgie. Neben dem All-Time Favourite "Mockingbird" entfalten auch die 10 Minüter "Medicine man" oder "Summer soldier", sowie das traumhaft schöne "She said" ihre volle Wirkung. Aufbauend auf sinfonischen Panorama Klang, bleiben Barclay James Harvest zwar immer im melodischen Bereich verhaftet, doch die abwechslungsreichen Arrangements eröffnen manch interessanten Höreindruck, der auch nach mehr als 30 Jahren nichts von seiner ursprünglichen Klasse eingebüßt hat. Die gerade erschienene Wiederveröffentlichung von Eclectic Disc kommt zwar ohne Bonustracks aus (die Spielzeit ist mit 75 Minuten sowieso bereits am Limit), dafür wurden die Mastertapes remastered und das Booklet mit interessanten Hintergrundinformationen ergänzt. Wenn ein Album von Barclay James Harvest, dann dieses!

Kristian Selm



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