CD Kritik Progressive Newsletter Nr.53 (09/2005)

Red Sand - Mirror of insanity
(39:39, Ipso Facto, 2004)

Hier fällt es wirklich nicht schwer, in welche Kategorie dieser Kanadische Fünfer einzuordnen ist. Das ist schlicht und einfach frühe Marillion, und nichts anderes. Als Fish bei Marillion ausstieg, tauchte bekanntlich beim Auditioning unter anderem ein gewisser Stuart Nicholson auf, seines Zeichens Galahad-Urgestein. Und "Mirror of insanity" hört sich so an, als ob Marillion seinerzeit das Vorsingen Nicholsons auf Basis neuer Songs mal eben mitgeschnitten hätten. Denn genau so klingt der Sänger, der hier - wenn ich den ziemlich unleserlichen Schrifttyp richtig entziffere - unter dem Pseudonym Ptemel auftritt. Gemäß KINESIS - meiner Bezugsquelle - ist dies in reality ein gewisser Mathieu Lessard von der Prog-Band Dagmähr. Kein Fish-Verschnitt also am Micro, sondern eher Richtung Galahad, aber die Songs könnten glatt aus früheren Marillion-Tagen stammen. Speziell die Gitarrenarbeit von Simon Caron erinnert mehr als einmal stark an Steve Rothery. Dies sind auch meist die stärksten Momente des Albums. Und dass der Gitarrist aus dieser Band kaum wegzudenken ist, belegt die Tatsache, dass Caron sämtliche Titel im Alleingang komponierte und auch die Texte beisteuerte. Obwohl - selbst komponierte ist wohl kaum eine passende Formulierung. So knapp sie an der 40-Minuten Marke vorbei schrammen, so knapp gehen sie hier an einer Plagiatsklage vorbei. Die Keyboards passen zwar perfekt zum Plan, Marillion möglichst gut zu kopieren. Allerdings klingt mir der Tastensound bisweilen etwas verwaschen, an einigen Stellen sind sie sogar so mutlos abgemischt, dass man sie mehr erahnt denn wirklich hört. Unverständlich, denn die Keyboardarbeit ist durchaus ordentlich. Okay, man kann davon ausgehen, dass den Jungs nicht unbedingt grenzenloses Budget für die Studioarbeit zur Verfügung stand, was ich aber überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist die gelegentlich etwas eigenartige Einordnung der Tasteninstrumente. Da setzt Keyboarder Stephan, der seinen Nachnamen im Booklet nicht verraten möchte, zu einem Synthi-Solo an, doch statt dies klanglich auch richtig in Szene zu setzen, höre ich viel mehr von den zeitgleich wohl eher als Untermalung gedachten synthetischen Streichern. Zur Strafe wird er jetzt gleich enttarnt: er heißt Stephan Desbiens. Offenbar ein vielseitiger und vielbeschäftigter Musiker, denn er ist auch bei anderen Ipso Facto Bands aktiv, wie beispielsweise als Multiinstrumentalist im Duo Melia, als Bassist bei Qwaarn oder auch bei den etwas bekannteren Sense. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Musiker vielleicht mal als Marillion-Coverband angefangen haben und sich dann dachten, dass es an der Zeit sei, ein Album mit "eigenem" Material aufzunehmen. Aber eigenständig ist dies wahrlich nicht, Pluspunkte für Eigenständigkeit können sie kaum sammeln. Aber: wer danach lechzt, mal wieder etwas im Stile der frühen Marillion zu hören, der liegt bei diesem recht kurz geratenen Album genau richtig. Und ich muss gestehen, prinzipiell gefällt mir das Album. Eine Bewertung fällt für solcherlei Klone immer sehr schwer. 0 Punkte für Originalität, 11 Punkte für die angebotene Musik. Die Wahrheit liegt irgendwo - je nach Gewichtung der Kriterien - dazwischen. Einen Punktabzug gibt es noch für den unverschämt schlecht lesbaren Schrifttyp.

Jürgen Meurer



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