CD Kritik Progressive Newsletter Nr.52 (06/2005)
Caravan - The unauthorised breakfast item
(60:13, Eclectic Discs, 2003)
Die Canterbury-Legende Caravan hat vor 2 Jahren ein Reunion-Album veröffentlicht, das die Band mit vielen altbekannten Gesichten zeigt. Auffallend jüngstes Mitglied der in Ehren grau gewordenen Truppe ist Doug Boyle (g), ein Jüngling geradezu zwischen den grauen Recken. Geoffrey Richardson (va, bj, g, voc, Ukulele), Jim Leverton (b, voc), Richard Coughlan (dr), Pye Hastings (voc, g) und Jan Schelhaas (key, voc) haben sich tolle Gäste ins Studio geholt, da wurden sicher Massen an Tee konsumiert! Dave Sinclair (key), Jimmy Hastings (saxes, fl), Simon Bentall (perc) und Ralph Cross (perc) haben hier und dort ihre Spuren hinterlassen, wobei mir vor allem die solistische Keyboardarbeit von Dave Sinclair gefällt. Caravan 2003 klingen natürlich nicht wie in der großen Zeit, als alle Welt wusste, wer für diese komplexe Musik steht. Und wie das so ist bei Caravan, es dauert, bis die Songs ihren Charme offenbaren. Ein Markenzeichen des Canterbury-Sounds, waren Caravan aber auch diejenigen, die Türen zum Kommerz öffneten und Blues und Pop intonierten. Sie haben grandiose Alben eingespielt und einige, die weniger Qualität haben, vor allem seit den späteren 70er Jahren. Aber da war Canterbury, verraten und verkauft, sowieso fast schon zur Legende geworden. Doch als Anfang der 1990er Jahre die CD großflächig die LP ablöste und die alten Alben neu aufgelegt wurden, kam das Fieber wieder auf. Heute sind die Backkataloge aller Canterbury-Bands größtenteils verfügbar; remastert, repacked, mit Bonussen überhäuft. Kein Wunder und welch Glück, dass da frische Gefühle ihre Knospen auftaten... Caravan 2003 spielen Pop orientiertes Material. Gute Rocksongs, wie immer mit diesem eigenen hellen, leichten Gesang, einem ausgeglichenen Schlagzeugspiel und harmonisch vielschichtigen Arrangements. Das ist sehr gut gemacht und geht flüssig ins Ohr. Und jeder, JEDER Song hat seinen ganz eigenen Höhepunkt: die Instrumentalparts. So manches grandiose Gitarrensolo, hinreißende Keyboardnotationen (vor allem diese!) und eine plötzlich in komplexe Gefilde ausbrechende Band zeigen, dass die Knaben Spaß und Spannung immer noch gut zu verknüpfen wissen. Jeder Song hat seine Steigerung. Erst kommt der engagierte, aber strukturell quasi radiotaugliche Vokalteil, dann reißt die Band aus. Nach meinem ganz persönlichen Empfinden wird die CD von Track zu Track immer besser, wenn sich auch nebenher das Gefühl einschleicht, dass die leichtfüßigen Mainstream-Parts sich recht ähnlich sind und gewisse Wiederholungen nicht ausbleiben. Vor allem die beiden instrumentalen Stücke "Wild West Street" - ein traumhafte, nostalgische Ballade mit wunderschönem Violapart - und das die CD abschließende "Linders Field", lyrisch wie ein lichter Nebel aus Melancholie, sagen mir zu, wie die in jedem Vokalsong enthaltenen instrumentalen Ausflüge ins rock-historische Canterbury. Ein Alterswerk mit jungem Geist, längst nicht belanglos, gut durchwachsen und selbstbewusst präsentiert. Das macht ihnen keiner so schnell nach. Live ist die Band heute mindestens ebenso eine Alternative, und da geht die Mischung aus altem und neuem Material so richtig in die Blutbahn.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2005