CD Kritik Progressive Newsletter Nr.51 (03/2005)
Strangefish - Full scale
(67:29, Privatpressung, 2004)
Auf Empfehlung eines befreundeten englischen Progfans - übrigens ein ausgewiesener Kenner der britischen Progszene - stieß ich kürzlich auf die Band Strangefish. Ihr Debütalbum nahmen sie zwischen März und September 2003 auf. Ist also schon eine Weile her, trotzdem ist der Name meines Wissens in deutschen Progkreisen noch nicht aufgetaucht. Und es wird Zeit, dass sich dies zügig ändert, denn dieses Quintett hat definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient. In der klassischen Besetzung Gitarrist, Bassist, Schlagzeuger, Keyboarder und Sänger bieten sie auf insgesamt acht Titeln erfrischenden Neo Prog gehobener Klasse. Die Songs sind in der Regel zwischen 7 und 11 Minuten lang, in denen die Briten es auf hervorragende Weise verstehen, Gesang-dominierte Parts und solistische Ausflüge miteinander zu verknüpfen. Die Gitarrensoli sind ausgefeilt und einfallsreich, die Tasteninstrumente im typischen Neo Prog-Stil gehalten, und auch die obligatorischen Tasten-Gitarren-Parallelläufe dürfen nicht fehlen. Nie mit Progmetalliger Härte, aber zweifellos mit dem nötigen Pep versehen. Ich muss zugeben, dass ich in den letzten Monaten wenig Neo Prog gehört habe - und jetzt liegen für mich gleich zwei Neuerscheinungen auf dem Tisch, nämlich besagte Strangefish und das neue Arena-Werk. Somit bietet sich ein direkter Vergleich an. Letztere, die mir in ihren Anfangsjahren durchaus gut gefallen haben, nehme ich in der Zwischenzeit leider nur noch eher gelangweilt zur Kenntnis, was wohl auch auf den in meinen Augen sehr farblosen Sänger zurückzuführen ist. Tolle Gesangslinien mache ich bei Arena gar nicht mehr aus, vieles wirkt auf mich fast lustlos und einfach nur so dahin gesprochen oder "gesungen" - so zumindest mein momentaner Eindruck. Bei Strangefish ist dies anders. Hier legt sich Sänger Steve Taylor mächtig ins Zeug, die Gesangsparts entwickeln nach wenigen Durchgängen schon einen gewissen Wiedererkennungswert. Doch an diesem Punkt muss ich dann doch einen kleinen Kritikpunkt anbringen: in den aggressiveren, rotzigen Titeln weiß Taylor voll und ganz zu überzeugen, da kommen mir bisweilen sogar Ritual oder It Bites in den Sinn. Das ist ohne Zweifel die Stärke Taylors. Mit den softeren Nummern hatte ich anfangs leichte Probleme, denn irgendwie wirkt es auf mich in einigen wenigen Fällen eine winzige Prise neben der Spur. Hat man sich aber daran gewöhnt, wissen auch diese Nummern, die ebenfalls durch sehr schöne Gitarren- und Tastenarrangements aufgewertet werden, zu gefallen. Und dass sie die Sache auch ganz locker angehen können, zeigen sie auf der Fun-Prog-Nummer "Take a holiday". Übrigens räumten Strangefish bei den damaligen Classic Rock Society-Wahlen mächtig ab. Drei erste Plätze gab es: bester Newcomer, bester Sänger und bester Schlagzeuger. Respekt! Das ist sicherlich erwähnenswert, beeindruckt mich allerdings nicht nachhaltig, da dies auch schon mal für Rachel Jones, Sängerin von Karnataka galt. Von dieser Band kenne ich lediglich eine Live-DVD, doch deren schwächster Punkt ist meiner Meinung nach ausgerechnet die Sängerin, die hier einen sehr unsicheren Eindruck hinterlässt. Doch es geht mir hier natürlich nicht darum, Arena oder Karnataka schlecht zu reden. Nein, ich möchte dem Neo-Prog-Fan diese sehr viel versprechende Neuentdeckung aus England dringend empfehlen. Hatten mich im letzten Jahr die jungen Holländer Splinter mit ihrem Album "Devil's jigsaw" am meisten überrascht (und überzeugt), so gilt dies aktuell ganz klar für Strangefish. Ich hoffe, sie werden sich in der Prog-Szene etablieren. Wenn nicht mit diesem Album, dann doch spätestens mit dem für Sommer/Herbst 2005 angekündigten neuen Album. Ich bin schon sehr gespannt darauf. Daumen klar nach oben für diese Band, denn dieses Album macht Spaß!
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 2005