CD Kritik Progressive Newsletter Nr.51 (03/2005)
Spock's Beard - Octane
(55:50, InsideOut, 2005)
Dass sich nach dem Ausstieg von Neal Morse einiges ändern wird, war mir eigentlich klar, jedoch das erste eingespielte Album "Feel Euphoria" ohne Neal enttäuschte mich dann schon etwas. Musikalisch einfach zu orientierungslos und ohne genaue Marschrichtung wirkten zum Großteil die Kompositionen der übrigen vier Bandmitglieder. Doch genau diese Angriffspunkte kann man Ihnen hier auf "Octane" wirklich nicht vorwerfen. Denn die Band hat es jetzt geschafft ihren eigenen Stil zu kreieren, ohne den Fehler zu begehen krampfhaft in die Fußstapfen des Ex-Frontmanns zu treten, ob einem persönlich die Ausrichtung nun passt oder nicht. Diese musikalische Neuorientierung, die in unschlüssiger Form auf "Feel Euphoria" schon etwas zu hören war, geht nun noch deutlicher weg vom Prog Rock und hin zu straighteren Rockgefilden, ohne zu kommerziell zu klingen, beschreiben wir es mal als anspruchsvolleren Melodic Rock mit leichtem Retro Prog Einfluss. Natürlich macht mich, und mit Sicherheit auch einige andere PNL-Leser diese Entwicklung nicht gerade Happy, auf der anderen Seite denke ich, immer noch besser als eine mehr gequälte, unehrliche Produktion bei der die Musiker ihre musikalischen Empfindungen und Vorlieben nicht frei ausleben dürfen. Somit ist das typische Spockïs Beard-Feeling so gut wie weggeblasen. Sowohl der Retro-Sound, als auch so manche Komplexität sind nur noch sehr spärlich auszumachen. Auch sind vertrackte Riffs, sowie treibende Soloausbrüche an den Keys ebenfalls so gut wie verschwunden. Dafür setzt man mehr auf eingängige Gesangsmelodien im melodischen und modernen Soundgewand mit einem gewissen Balladen-Faktor. Dabei bestimmt die teilweise hart gespielte E-Gitarre (die anderen Hauptinstrumente Schlagzeug, Bass, Keyboards agieren mehr im Hintergrund) fast ausnahmslos die Tracks, oft versetzt mit kleinen Tupfern von Bläser, Flöte, Piano und Streichern. Das Herzstück von "Octane" ist ein 7-teiliger Songzyklus Namens "A flash before my eyes" von ca. 30 Minuten, mit dem sich die "Rein-Progger" wenn überhaupt, noch am ehesten anfreunden können. Dazu zähle ich evtl. noch das Instrumentalstück "NWC", die restlichen vier Tracks kann man aus dieser Sicht getrost abhaken. Bei den Lead-Vocals, wieder von Nick D`Virgilio vorgetragen ist eine klare Verbesserung gegenüber dem Vorgängeralbum festzustellen, wobei der Drummer von einem begnadeten Sänger noch immer meilenweit entfernt ist. Den größten Teil des Songwriting übernahm der Bassist Dave Meros, vielleicht erklärt dies den Radikalschnitt den uns die Herren hier vorlegen. Spiel- und produktionstechnisch gibt es wieder mal nichts auszusetzen. Wer also für Melodic Rock was übrig hat, oder (was ich mir eigentlich nicht vorstellen kann) die ersten Abnutzungserscheinungen und Langeweile bei den alten Spockïs Beard oder Transatlantic Silberlingen empfindet, kann hier getrost ein Ohr riskieren, alle anderen denke ich sind besser bei der aktuellen von Neal Morse aufgehoben. Die zur normalen CD erhältliche Special Edition bietet zusätzlich noch einige "Neue" Spockïs Beard-Stücke sowie ein Quick Time Video.
Andreas Kiefer
© Progressive Newsletter 2005