CD Kritik Progressive Newsletter Nr.51 (03/2005)
Ikarisches Ensemble - Incipit Tragoedia
(35:50, Privatpressung, 2004)
Schon bei der stilistischen Einordnung hat man beim Ikarischen Ensemble seine Schwierigkeiten. Die drei Musiker (Stefan Berger - Bass, Martin Tanek - Klavier, Gitarre, Gesang, Fabian Hönes - Schlagzeug) bieten einen außergewöhnlichen Mix aus heftigem, kunstvollen Rock quer über alle Genregrenzen hinweg, weben aber genauso ganz selbstverständlich Einflüsse aus Jazz und Klassik in ihren musikalischen Ansatz ein. Das überaus Erstaunliche dabei: die drei sind gerade mal über 20 Jahre alt, besitzen aber allesamt nicht nur eine fundierte Ausbildung in Kompositionstechnik in den Bereichen Klassik und Jazz, sondern wurden ebenfalls bereits mit den entsprechenden Förderpreisen bedacht. Passt nicht zusammen, gilt hier nicht. Radikalität ist das Grundprogramm des Trios, die absichtlich Schöngeistiges, neben Sperriges, melodische Elemente neben Krach stellen. Da beginnt der Opener "Nécrologue à l'innocence" mit einem Thema von Chopin am Klavier, über das sich langsam immer mehr Dissonanzen und Brüche einschleichen, die letztendlich in ein kräftiges Art Rock Stück münden. Die "Ikarische Trilogie" startet nervös, unstetig, hektisch, der Gesang ist nur noch ein verzweifeltes Gekreische nahe am Wahnsinn, während sich das Stück im weiteren Verlauf mitunter in sanfte Rockgefilde verirrt. Die die Kompositionen ständig durchziehenden Stilbrüche sind gewollt, wirken jedoch keineswegs holprig oder rein zufällig, sondern bleiben immer im Gesamtzusammenhang, im gemeinsamen Ziel verhaftet. Heftige Gitarrenattacken können in wundervolle Soli münden, die Band überrascht den Hörer mit unvorhersehbaren Rhythmen und Spannungsbögen. Auch die Texte passen zu dieser Radikalität. Es handelt sich ausschließlich um die Vertonung von Gedichten, die nicht nur durch ihre sehr direkte Sprache und inhaltliche Hoffnungslosigkeit auffallen, sondern Musik und Wort zu einer Einheit verbinden. "Incipit Tragoedia" ist ein mutiges Hörerlebnis und der Beweis, dass die heutige Generation keineswegs von den Massenmedien schon total verblödet wurde und stromlinienförmig nur jedem hippen Trend hinterher rennt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2005