CD Kritik Progressive Newsletter Nr.51 (03/2005)

General Patton vs. The X-ecutioners - Joint Special
(44:00, Ipecac, 2004)

Mike Patton ist der Sample-König. Was für dieses Album auseinander geschnitten und zusammen geklebt wurde, ist total abgefahren!!! Das kann ich mit einem stilistischen Rahmen nicht fassen, weil die Bandbreite alles, was irgendwie unter den Hut der populären Musik passt, hier seinen Anteil hat. Von Free Jazz über Country bis Metal, von Symphonik Rock mit schwer-düsterem Mellotron bis zu Filmauszügen, das ganze hat zumeist einen schweren Rap-Rhythmus, kann aber auch mal wie Dancefloor Pop klingen oder spannender Rock sein. Dabei sind die Schnipsel mal nur ein einzelner Ton, dann eine Harmonie oder ein paar Takte. Track Nummer 3 ist mit seinen über 3 Minuten wohl als Song zu verstehen. Das kraftvolle Popstückchen lebt von Pattons Stimme, düsteren Keyboardsounds sowie fettem Rhythmus. Danach wird der Sample-Wahnsinn abgefahren. Wer aufpasst, kann dabei eine Menge wieder erkennen. Ausschnitte aus Pink Floyds "Ummagumma" beispielsweise oder ein rhythmisches Traktat der Holländer Flairck. Aber das sind nur Tausendstel, dazu gibt es jede Menge Funk, Free Jazz, Stimmen, Scratching. Alles Schnipselware, was in manchem Song an die 50 Mal (!) wechselt. Allein die rhythmische Vielfalt ist riesig, dazu die verschiedenen Rap-Rhythmen, zappaesken Harmonien - dieses Stück neue Musik ist Avantgarde pur. Wer nur ist auf die Idee gekommen, diese unglaubliche Masse an Samples einzufügen? Wer hat das ausgesucht? Wer hat geschnitten, zusammengefügt? Klingt wie ein Lebenswerk und ist doch nur eine Episode in Pattons geheimem Kosmos. Voller Vergnügen sitzt er gewiss am heimischen Herd und freut sich auf die Reaktionen, die ihm da ins Haus flattern. Mike Patton versteht sich hier als Vocal General, steht für Keyboard - Guitar - Bass and Percussion Strategies und Waveform Editing And Programming. Seine Mitstreiter sind Rob Swift (Tactical Turntable Offensive), Roc Raida (der schon wieder! - Phonograph Exploitation Brigade) und Total Eclipse (Scratch Artillery Operations). Noch Fragen? Rap-Fans werden die Platte mit Fragezeichen-Augen anhören und zu vielleicht 3,5 Rhythmen "Yeah, Baby" sagen. Der Rest dürfte sie nur irritieren. Das Album ist für die Spaßfreunde der Avantgarde Fraktion aller Couleur. Der Lust auf Abgedrehtes, Schräges, nicht Konformes, auf Seltsames und böse Witze hat, und keine Scheuklappen und Angst vor allem möglichen musikalischen Zeugs hat, holt die CD nicht mehr aus dem Player raus. So verrückt ist das Teil, das es eigentlich schon wieder so was wie eine philosophische Auseinandersetzung mit dem tonalen Krach der heutigen Zeit und (längst nicht nur dadurch) ein wahrhafter Ausdruck künstlerischer Arbeit ist. Mein Lieblingstrack ist Nummer 11 mit dem Titel "Convulsive antidote for nerve Agent Autoinjector (Canaa)", der in 43 Sekunden wohl alle Comic-Ideen abschießt. Aber es war vorher schon gut und bleibt genial - Patton ist nicht nur Sample-King, er erweist sich als musikalisches Genie. Ich kann es nicht abwarten, die Musik zu hören, die er in 40 Jahren aufnehmen wird. Danke für dieses Album und für die Neuerfindung der Definition "Kurzweil". Tipp für neugierige Musikfreaks!

Volkmar Mantei



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