CD Kritik Progressive Newsletter Nr.50 (12/2004)

Vox Dei - La Biblia
(56:03, D&D, 1971)

Bei dem Album "La Biblia" der argentinischen Band Vox Dei (lateinisch für "Stimme Gottes") handelt es sich um einen absoluten Meilenstein in der Geschichte der progressiven lateinamerikanischen Rockmusik. Dieses Werk nahmen Vox Dei insgesamt dreimal auf: 1971, 1986 (live) und 1997 (mit Orchester) und wurde alles in allem millionenfach verkauft. Zudem wurde es in Argentinien und Brasilien von verschiedenen Musikern noch mehrfach gecovert. Gegründet wurden Vox Dei 1968 in Quilmes, einem Vorort von Buenos Aires, der v.a. für sein gutes Bier bekannt ist. Nach einem wenig auffälligen Debütalbum "Caliente" (1970) mit einer Mischung aus Blues, Hardrock, Soul und Balladen arbeiteten Vox Dei 1 ½ Jahre an ihrem Magnum Opus, das schließlich 1971 als Doppelalbum erschien. Wie der Titel schon nahe legt, liegen den 8 fast durchweg längeren Stücken Teile der Bibel zugrunde: angefangen bei "Genesis" mit der Schöpfungsgeschichte über Leben, Sterben und Auferstehung des Herrn in "Cristo" bis hin zur "Apocalipsis". Instrumental bewegen sich Vox Dei im Rahmen eines normalen Rockquartetts: Lead- und Rhythmusgitarre, Bass und Schlagzeug. Ergänzt wird dieses Instrumentarium durch gelegentlichen - und sehr geschmackvollen - Einsatz von Akustikgitarre, Mundharmonika, Geige, Piano sowie Orchester und Chor. Basis des Sounds der Gruppe bildet ein bluesiger Hardrock, der aber durch Elemente von Klassik, Folk und Psychedelic erweitert wird. Die Melodien und Arrangements des Konzeptalbums sind wunderbar ausgearbeitet und passen sich perfekt dem Charakter und den Aussagen des jeweiligen Bibelabschnitts an. Als Beispiel sei das erste Stück, das knapp 8minütige "Genesis" genannt: das Stück beginnt mit einem hypnotischen Ostinato-Bass sowie einer sanft gestreichelten Gitarre, das Schlagzeug fällt verhalten ein, dann erst kommt vorsichtig der Gesang dazu und beschreibt die Erschaffung der Welt "Cuando todo era nada, era nada el principio" mit einer faszinierenden Melodie, die ich einfach nicht mehr aus meinem Kopf kriege. Klasse auch z.B. "Las prophecias": eine wunderschöne, melancholische Melodie, getragen von Akustikgitarre und Geige korrespondiert hervorragend mit dem u.a. aus Teilen des Buches der Prediger bestehenden Text ("Jegliches hat seine Zeit..."). In die entspannte Stimmung bohrt sich immer stärker eine E-Gitarre hinein, deren Solo plötzlich abbricht und für einen schleppenden Rhythmus mit bluesigem Piano Platz macht, woraus sich wiederum eine neue, wunderbar melancholische Melodie schält. Jedes Stück hat so seine ganz besondere Note: mal lassen es Vox Dei psychedelisch oder hardrockmäßig krachen, dann gibt es Popol-Vuh-Anklänge mit perlendem Gitarrenspiel oder Ähnlichkeiten zu italienischem Prog der 70er à la De De Lind (begünstigt auch durch das vergleichsweise weiche argentinische Spanisch). Minuspunkte gibt es dagegen leider für die bescheidene Aufnahmequalität, das hölzerne Schlagzeug sowie den etwas uninspirierten Schlusstitel - die Apokalypse stelle ich mir schon etwas dramatischer vor. Alles in allem aber sowohl textlich wie musikalisch ein reifes Frühwerk, dessen Niveau Vox Dei in der Folgezeit, in der sie sich verstärkt wieder Hard- und Bluesrock widmeten, nicht mehr erreichten.

Gerald Matuschek



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