CD Kritik Progressive Newsletter Nr.49 (08/2004)
Matraz - Gritaré
(60:58, Mylodon Records, 2004)
Prog aus Chile feiert vor allem seit dem vor einigen Jahren gegründeten Label Mylodon Records eine rege Aufarbeitung und Verbreitung, wenn auch viele Bands noch mit dem Exotenbonus kämpfen müssen. In unseren Breiten stoßen sie erst einmal auf zurückhaltende Skepsis nach dem Motto "was der Bauer nicht kennt...", wobei vielleicht der unglaubliche Auftritt von Akineton Retard beim diesjährigen Freakshow Artrock Festival das Eis brechen dürfte. Denn sicherlich gehört die chilenische Progszene zu den derzeit lebhaftesten und fördert immer wieder erstaunliche Bands zu Tage, die nicht nur im krassen Kontrast zum eher zuckersüßen Sound aus Brasilien stehen. Liegt es an der teils schroffen Natur des langgezogenen Landes in den Anden oder welche andere hanebüchene Verbindung führt zu der ganz anderen musikalischen Natur chilenischer Bands? Matraz veröffentlichen mit "Gritaré" ihren zweiten Longplayer, der glücklicherweise auch über Musea vertrieben wird, somit in Europa problemlos erhältlich sein sollte. Die Band aus Santiago de Chile hat sich einer härteren Spielart des Progressive Rocks verschrieben, die einerseits modern klingt und nicht nur auf der Vergangenheit fußt, andererseits sind etliche Überschneidungen zum Prog Metal zu finden, ohne das hier die leidlich bekannten Klischees zum x-ten mal zitiert werden. Bei Matraz sind es vielmehr nur Ansätze, wie z.B. härtere Gitarren, hämmernde Rhythmuswechsel, die sich aber mit mal mehr sinfonischen, mal mehr komplexen Progressive Rock Strukturen abwechseln. Als Bindeglied dient hier vor allem die formidabel in Landessprache singende Fronfrau Loreto Chaparro - keine unbedingte Rockröhre, aber auch nicht mit einer butterweichen Säuselstimme versehen, eher lateinamerikanisch herb, wie chilenischer Wein. Als weitere Einflüsse können jazzige und lyrische Momente angeführt werden, die aber eher unterschwellig, als offensiv zur Geltung kommen. "Gritaré" ist somit kein Album, welches einem nur offensichtlich Aggression entgegenpfeffert, dennoch ist der Härtegrad bisweilen recht heftig gehalten. Desgleichen sind die sanften Augenblicke sehr gut von Komplexität und überraschendem Einfallsreichtum durchsetzt. Einzig der teilweise Verzicht auf sofort einprägsame Melodienlinien erschwert einem dem Zugang zu diesem Album, man vermisst eben so etwas wie Haltelinien in der virtuosen, aber dennoch wirkungsvoll und nie überladen wirkenden Mixtur. Matraz geben sich somit etwas spröde und nicht unbedingt griffig, eröffnen dem Hörer aber manch interessante Idee, sowie das mehrmalige Anhören dem Zurechtfinden ebenfalls dienlich ist. Der ganz große Mega-Wurf ist Matraz mit "Gritaré" zwar noch nicht gelungen, aber sie offenbaren definitiv überdurchschnittliche und mehr als ansprechende Qualitäten, die langfristig überzeugen. Voller Überzeugung ist diese Scheibe absolut eine Empfehlung als Geheimtipp wert.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2004