CD Kritik Progressive Newsletter Nr.49 (08/2004)
Atomic Rooster - Atomic Ro-o-ster
(65:39, Castle Records, 1970)
Atomic Rooster - In hearing of
(56:49, Sanctuary, 1971)
Atomic Rooster - In England
(74:42, Sanctuary, 1972)
Die neueste Auflage dieses Klassikers beginnt gewöhnungsbedürftig. Castle Records veröffentlicht das Debüt von Atomic Rooster so, wie es ursprünglich in Great Britain erschien. Die bisherigen CD-Auflagen hielten sich stets an die amerikanische Version, Castle nehmen die Song-Variationen, die sonst ignoriert wurden, fügten Bonustracks an und haben damit ein Release geschaffen, das die Sammlungen der Freaks bereichert. Atomic Rooster ist Vincent Crane (key, org), der diese seine Band mit Carl Palmer (dr) und Nick Graham (b) gründete, nachdem Arthur Brown, in dessen Band Crane und Palmer gespielt hatten, beide durch Untätigkeit so gelangweilt und genervt hatte, dass sie Brown verließen, um mit Atomic Rooster eine eigene Band auf die Füße zu stellen. Nachdem "Atomic Ro-o-ster" veröffentlicht worden - und Carl Palmer längst ausgestiegen war, um Emerson, Lake and Palmer mitzubegründen - ging auch Nick Graham. Für ihn kam John DuCann (g) in die Band, für Carl Palmer Paul Hammond. Atomic Rooster bekamen einen Deal mit Elektra USA und mit dem Gitarristen John DuCann spielte Vincent Crane den Klassiker "Friday the thirteenth" neu ein. "SLY" und "Before tomorrow" wurden mit der harten Gitarrenarbeit abgemixt und so sahen zwei verschiedene Releases das Licht der Welt. Auf dem US-Release waren die britischen Versionen der 3 genannten Songs nicht enthalten, bisherige CD-Auflagen hielten sich an die US-Auflage. Auch die Songreihenfolge ist jetzt auf der CD wie auf dem ursprünglichen Release. Die US-Versionen sind als Bonusmaterial mit auf der CD, zusätzlich 2 BBC Radio Sessions), da ist nichts verloren gegangen. Das Debüt von Atomic Rooster ist vielleicht die progressivste Platte der Band. Die späteren LPs, auch "Death walks behind you", ihr Klassiker überhaupt, hatten mehr Funk und Heavy Rock. Der eigentlich orgellastige Sound war mit John DuCann viel härter geworden, das ist hier nur in den Bonussongs zu hören. "SLY" irritiert schon etwas, wo sonst für gewöhnlich die Gitarre rockt, setzt ein Bass an, der längst nicht den genüsslich harten Eindruck bringt. Trotzdem eine interessante Sache, lässt sich damit doch nachzuvollziehen, wie Atomic Rooster anfingen. Die 8 Songs sind sämtlichst hervorragende Beispiele für frühen britischen Progressiven Rock. Heftig gespielt und mit phantasievollen Schnörkeln versehen, rocken die Stücke fabelhaft. Doch gerade die Balladen sind bei Atomic Rooster stets ausgezeichnet gelungen. Hier ist es "Winter", später folgten "Nobody else" und "Black snake". Gigantische, perfekte Songs. Songs, die Geschichte machten. "Atomic Ro-o-ster" ist ein großartiger Rockklassiker, klassisch geprägt, jazztrunken, heftig rockend. Die Aussage eines ganzen Jahrzehnts klingt aus diesen Songs. Die Castle-Auflage erscheint nicht nur mit 5 Bonussongs, auch ist das umfangreiche Booklet mit vielen Bildern ausgestattet, ansprechend aufgemacht, erzählt die Geschichte der Band und ihres Erstlings. Da eröffnen sich Zusammenhänge, die zum Verständnis der Zeit beitragen und davon berichten, wer wen kannte und wie es zum Namen Atomic Rooster kam. Sehr schön gemacht. Schade, dass Vincent Crane dies nicht mehr miterleben kann. Frustriert beging der Keyboarder 1989 in Maida Vale Selbstmord. 1971 veröffentlichten Atomic Rooster "In hearing of". Nunmehr aus Vincent Crane (key), Peter French (voc), John Cann (g) und Paul Hammond (dr) bestehend, spielte die Band fabelhaften Progressive-Hardrock. Immer mit einem Faible für jazzige Arrangements, angereichert mit einer Fülle illustrer melodischer Ideen, strotzen die Songs nur so vor Kraft. Unter den 8 Stücken ist nicht ein Füller, die vitalen Rocker haben ordentlich Schmackes, mal lässig, mal rasant und immer mit viel Körper gehen sie gut ab. Mit "Black snake" ist eine der besten (wirklichen Rock-)Balladen aller Zeiten an Bord. Überhaupt gilt, so gut die deftigen Songs von Atomic Rooster auch sind, am besten konnte Vincent Crane Balladen komponieren, arrangieren, spielen. "Decision / Indecision" ist ein weiteres geniales Stück, das Schlagzeug spielt rhythmische Finessen, während das Piano die durchdringend harmonische Melodie fährt, von einem einfühlsamen, tiefen Bass begleitet. Auf der Basslinie wirkungsvoll schwer, während die Melodielinie illuster tanzt, grandios! Gleich im Anschluss beginnt "A spoonful of bromide" mit einem verflixt komplexen Rhythmus, auf dem sich ein harter, mitreißender Jazzrock entwickelt. "Head in the sky" und "The rock" fallen etwas ab, das liegt an der dünnen, blechernen Gitarre, die, gut gespielt, einfach einen arg schlechten Sound hat. Trotzdem ist gerade "The rock" ein schön fettes Funk-Stück, mit leider lächerlich matten Bläsersätzen. Der CD ist als Bonus "Devilīs answer" in der US-Version sowie "Breakthrough" und "A spoonful of bromide" von einem BBC-Konzert in Paris 1972 angehängt worden, nette Sache, die die instrumentale Variabilität der Band zeigt. Die drei ersten Alben von Atomic Rooster haben Geschichte geschrieben und gehören zu den Highlights der Rockmusik der beginnenden 1970er Jahre. Meilensteine geradezu, irrsinnig lebendig und nahezu perfekt. "Made in England" stand 1972 in den Plattenläden. Neben Vincent Crane waren nunmehr Rick Parnell (dr), Steve Bolton (g) und der ausgezeichnete Sänger Chris Farlowe involviert. Eine gute Besetzung, die fabelhafte Songs spielte, aber auch ordentlich Mist verzapfte. Mit Chris Farlowe, der vorher bei Colosseum sang, entwickelten Atomic Rooster ihre Vorliebe zum Soul. Die Arrangements waren weich harmonisiert und teils gar verkitscht, die Funk-Soul-Stückchen passten wenig zu dem differenzierten Hardrock, zudem bediente sich die Band bei sich selbst - vieles sprach von einem Dilemma. Chris Farlowes Stimme gab zwar starken Input, gleichfalls hat Farlowe sicherlich erst die Soul-Einflüsse mitgebracht oder zumindest verstärkt. "Stand by me", "Donīt know what went wrong", "People you canīt trust" und "Close your eyes" sind gleich vier Mainstream-Soulsongs, in denen außer aufgeregtem Gesang nicht viel passiert. Die Hardrocker waren im Vergleich zu früher viel weniger vital. Als hätten Vincent Crane und Atomic Rooster keine Ideen mehr, läuft alles schwerfällig, weniger kraftvoll, klingt Atomic Rooster plötzlich gewöhnlich wie eine ganze Horde ähnlicher Bands und tut sich kaum hervor. Eigentlich erstaunlich, denn ein Jahr später hatte die Muse die Band wieder geküsst (Nice & Greasy). Um den schalen Eindruck etwas aufzubessern, sind gleich 8 Bonussongs angehängt worden, 4 BBC Sessions und 4 Livetracks, die rauer, kraftvoller, dynamischer sind, nicht gebremst und ausgelaugt, wie die originalen Songs von "Made in England". Die Booklets beider CDs gehen detailliert auf die Entwicklung von Atomic Rooster ein, Interviewschnipsel, Bilder, LP-Labels und Singles sind abgedruckt. Schöne Sache, die beide Veröffentlichungen ("Made in England" nicht nur aus historischen Gründen) empfehlenswert macht.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2004