CD Kritik Progressive Newsletter Nr.48 (04/2004)

Proto-Kaw - Before became after
(66:00, InsideOut, 2004)

"Before became after" ist der zutreffende Titel für dieses Album. Proto-Kaw ist die neue, alte Band von Kerry Livgren, der einst mit Kansas berühmt wurde. Proto-Kaw ist Ur-Kansas. 2002 veröffentlichte Cuneiform Records 1971/72er Aufnahmen der ursprünglichen, jungen Kansas, sprich Proto-Kaw, nachdem das alte Material erst entdeckt werden musste. Eine fabelhafte Überraschung, mit der niemand gerechnet hatte. Zuletzt die Bandmitglieder selbst, die zum Großteil seit vielen Jahren keine aktiven Musiker mehr waren und das Nachfolge-Projekt Kansas aus der Entfernung betrachtet hatten, sicher nicht ohne eine gewisse Wehmut. Mit der Cuneiform CD begann etwas, was Lynn Meredith (vocals & narration), John Bolton (saxes & flute), Dan Wright (organ, keyboards percussion & background vocals) und Brad Schulz (drums) ebenso wie Kerry Livgren (guitars, piano, keyboards, percussion & background vocals) verblüfft haben dürfte. Unter den Musikern entwickelten sich Gespräche, die schließlich Interesse an erneuter Aktivierung der Band aufflammen ließen. Manche hatten seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Da wurden Brücken restauriert, die völlig vernachlässigt waren. Aber die Band blieb hartnäckig. Mit Craig Kew (bass & background vocals) gewann man die letzte notwendig zu besetzende Position. Zu 5 bisher nicht aufgenommenen Songs komponierte Kerry Livgren, seit je Komponist der Band, 4 neue hinzu. Keine Ahnung, ob sich mancher in der Band seinem Instrument über große Hürden wieder nähern musste, die Einspielung der nun auf CD vorliegenden Songs klingt flüssig, perfekt, sauber. Die neuen Proto-Kaw klingen ein wenig nach Kansas, den alten Proto-Kaw und immer noch - oder wieder - progressivem Rock verpflichtet. Keyboards, Gitarre und Flöte entwickeln das melodische Geschehen, dem sich hin und wieder Saxophon anschließt. "Before became after" ist weit weniger jazzlastig als die alten Aufnahmen des Cuneiform-Releases, vernachlässigt diesen Einfluss aber nicht vollständig. Bass und Schlagzeug halten den Melodieinstrumenten den Rücken frei und entwickeln einen komplexen Rhythmusteppich, der sich etwas zurückhält, leiser aber nicht weniger vital gespielt ist. Romantische Motive und heftiger Rock treffen aufeinander, dass man meinen könnte, jungen Musikern zuzuhören. Lebenserfahrung und Entspanntheit klingen mit den Songs aus den Boxen, doch die Lust am Musizieren ist ungebrochen. Diese CD hätte es niemals gegeben, wenn diese erste Kansas-Besetzung nicht aufgelöst und durch die weltweit erfolgreiche zweite ausgetauscht worden wäre. Aber nun existieren beide nebeneinander und die Frage, welche von beiden Bands heute kreativer ist, stellt sich. "Before became after" - schon dieser Titel könnte zu der Beantwortung herangezogen werden. Tolles Album, das sich nicht sofort erschließt, später dafür umso tiefere Rinnen zieht.

Volkmar Mantei



© Progressive Newsletter 2004