CD Kritik Progressive Newsletter Nr.48 (04/2004)
Ovni - Humanos pero no terrestres
(79:35, Privatpressung, 2004)
Hurra, wieder eine neue Flagge auf der großen, progressiven Weltkarte! Interpreten aus Lateinamerika, sind ja nicht unbedingt etwas grundlegend Neues, aber mit Ovni ist die mir bisher einzig bekannte Progband aus El Salvador am Start. Mit ihrem immerhin schon fünften Album "Humanos pero no terrestres", im Untertitel "Humans but not terrestrials", legen sie nicht nur ein im Titel zweisprachiges Werk vor, sondern ebenfalls gesanglich wechselt die Band aus der Hauptstadt San Salvador zwischen diesen beiden Sprachen. Was mit der sprachlichen Offenheit beginnt, setzt sich konsequent in der Musik fort. Ein unberechenbarer, im melodischen Bereich angelegter Stilmix, der neben Progressive Rock in allen Schattierungen, von sanft bis heavy, von zugänglich bis komplex, bis hin zu seichtem Latin Rock reicht, überrascht den Hörer immer wieder aufs Neue, da man nie weiß, was wohl im nächsten Song folgt. Entweder wollten sich Ovni einfach nicht für eine Richtung entscheiden, oder "Humanos pero no terrestres" soll dokumentieren, was alles in der Band steckt. Und genau hier liegt zum Teil der Hase begraben. In erster Linie ist ja nichts gegen eine differenzierte Stilvielfalt zu sagen, aber Ovni laufen einfach des öfteren sehenden Auges in die eigene Falle, indem sie einfach zu viel versuchen und nicht alles richtig überzeugend klappt. Das eigene Stil-Potpourri funktioniert immer dann ausgesprochen gut, wenn sich Ovni entweder auf die lyrische Seite schlagen, sich in akustischer Zurückhaltung üben. Geben sie auf der anderen mal etwas mehr Gas und schrauben an Komplexität und Sinfonik herum, entstehen daraus spannungsgeladene Passagen, die leider viel zu oft, recht kurz gehalten sind. Als inhaltlicher Widerspruch findet man immer wieder dazwischen "normales" Rockmaterial, das irgendwie inhaltlich eigenartig deplaziert wirkt. Es darf einen nicht verwundern, dass weitangelegte, vielschichtige Longsongs (wie z.B. der über 18-minütige, fesselnde Opener "The visitors"), neben kurzen 08/15 Nummern stehen, mitten im Album auf einmal völlig überrauschend ein ausgedehntes Bass-Solo auftaucht. Hört man sich jedoch mehrfach durch das Album, dann kommt man immer besser mit diesen inhaltlichen Brüchen klar, gewinnt das Album insgesamt an Format. Eines kann man Ovni auf keine Fall absprechen: reichlich Mühe und viel Kleinarbeit wurde definitiv in dieses Werk gesteckt. Auch wenn das Ergebnis an manchen Stellen einfach zu uneinheitlich und von der Qualität zu schwankend ausgefallen ist, schlummert hier doch einiges Potenzial, was bei einer nächstmaligen Fokussierung, wesentlich stimmiger ausfallen könnte.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2004