CD Kritik Progressive Newsletter Nr.48 (04/2004)

Liquid Scarlet - Liquid Scarlet
(52:46, Progress Records, 2004)

Wenn eine Band am Beginn eines Albums gleich die volle Mellotronsalve abfeuert, könnte man dies mit ganz bösen Hintergedanken als offensichtliche Berechnung vorverurteilen. Denn schließlich gibt es bei den Proggies ja genügend Süchtige, die bereits bei Erwähnung des Wortes mit dem großen M - nein nicht McDonald's! - in orgiastische Zustände verfallen. Wagt man zusätzlich noch anzumerken, dass eine Band aus Schweden kommen, kann sich die wild sabbernde Meute abhängiger Musikjunkies kaum noch bremsen. Mellotron + Schweden = Prog Nirvana? Nun, ganz so einfach sollte man es sich mit Liquid Scarlet nicht machen, auch wenn hier wieder einige typisch skandinavische Merkmale aufgefahren werden, die bereits von anderen Bands aus nördlichen Gefilden allseits bekannt und beliebt sind. Kurz und kernig könnte man Liquid Scarlet als Verbindung der frühen Genesis und King Crimson umschreiben oder um skandinavisch zu bleiben: Landberk meets Anekdoten. Von Genesis wurde sich im vor allem Gitarrenspiel und der melancholischen Grundstimmung bedient, von King Crimson kommen sperrigen Momente, das spannende Spiel aus lyrischen und kräftigeren Passagen. Doch soll diese Kritik keine allein mit verkaufsfördernden Schlagworten gestaltete Albuminformation bleiben, deswegen noch etwas mehr Inhalt hinterher. Das Konzept der Schweden baut vor allem auf die Erfolgsgaranten Gitarre und Keyboards bzw. Mellotron. Saiten und Tasten setzen die klanglichen Schwerpunkte, wobei dies nicht nur mit komplexer Interaktion, sondern meist wohldurchdachten, sparsamen Einsatz gelingt. Durch die komplette zurück in die 70er Retroausrichtung, trifft man auf viele bekannte Klangerlebnisse, schwebt die traurige Atmosphäre auf einer wohligen Ebene des Gefallens. Doch so gut der eigentliche Grundgedanke und das umgesetzte Konzept, so sollen die kleinen "Zurechtrücker" nicht unter den Teppich gekehrt werden. Leider passt noch nicht alles, was sich da in den Köpfen der vier Herren und der einen Dame ausgedacht wurde, denn unglücklicherweise verfallen die Arrangements teils in zu hölzerne, unfertige Augenblicke. Manch genialer Moment - von dem es auf diesen Album einige gibt - manch langsam aufgebauter Spannungsbogen wird damit leider wieder relativiert, auf Normalmass zurückgestutzt. Weiterer, nicht undeutender Schönheitsfehler am Rande: Frontmann Markus Fagervall gehört sicherlich nicht zu den ausdrucksstärksten Sängern seiner Gilde. Er verharrt von der stimmlichen Breite fast immer in den gleichen Regionen, klingt mehr wie ein Elch im Winterschlaf, was aber zu seiner Ehrenrettung, in den meisten Momenten recht gut zur Musik passt. Liquid Scarlet erwecken auf ihrem Debüt den Reiz eines noch ungeschliffenen Rohdiamanten. Was in dieser noch sehr jungen Band steckt, kommt schon meist sehr zielsicher auf den Punkt gebracht zum Durchschlag, doch landen auch einige Treffer noch außerhalb der Zielscheibe. Mit etwas Übung sollte jedoch beim nächsten Versuch ein richtiger Volltreffer gelingen.

Kristian Selm



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