CD Kritik Progressive Newsletter Nr.47 (02/2004)

Six North - Prayer
(55:26, Poseidon / Musea, 2003)

Heute ist mein japanischer Tag. Inzwischen zieht die fünfte CD aus dem fernen Osten ihre digitalen Runden und ebenfalls zum wiederholten geht es in den Grenzbereich zwischen Jazz Rock und Progressive Rock. Six North nennt sich der aktuelle CD Rotierer. Eine siebenköpfige Band (Gesang, 2x Gitarre, 2x Keyboards, Saxophon, Schlagzeug), die sich um den Bandleader Hideyuki Shima an Bass, Gesang und Keyboards versammelt hat. Interessanterweise, als ob sie nicht schon genug Instrumentarium bedienen würden, wurde sich auch noch Unterstützung von u.a. dem KBB Geiger Akihisa Tsuboy, sowie Canterbury Legende Richard Sinclair dazugeholt. Die weitgehend instrumentalen Titel wandern auf leichte Art zwischen den oben angesprochenen Genres hin und her, wobei der Jazzüberhang deutlich vernehmbar ist. Man kann den Songs vom Grundgerüst her eine gewisse Lässigkeit und Coolness attestieren, darüber wird aber gerne mal heftigst und frickelig herumsoliert. Besonders die Gitarristen wirbeln fast schon im Holdsworth-artigen Tempo übers Griffbrett, das Saxophon darf expressive Stöße hinausposaunen, sorry, heraussaxophonieren. Jedoch kriegt die Mannschaft glücklicherweise meistens die Kurve, bevor es in reine Instrumentalschlachten und inhaltlichem Leerlauf ausartet. Bisweilen arbeitet sich die Combo in mehr freie, improvisative Räume vor, gibt sich streckenweise vertrackt, schräg und inhaltlich offen. Beim Gesang braucht man dafür keine Sorgenfalten zu bekommen, denn Chanteuse Chizuko Ura ist eindeutig im Jazzbereich zu Hause, setzt ihr Stimmorgan vermehrt lautmalerisch und sicher intonierend ein. Sie bekommt dann auch mehr in den ruhigeren Titeln den ihr zugedachten Raum. Ohne dass sie etwas dafür kann, nimmt sich während ihren Auftritten die Band zu weit zurück, verliert sich die Musik zu oft in gepflegter Langeweile. Über weite Strecken, vor allem wenn mehr Drive angesagt ist, klingt das Material von Six North aber passend und wirklich interessant, auch wenn hin und wieder der Bogen überspannt wird, die Band leicht desorientiert wieder den roten Faden zu suchen scheint. Besonders, wenn die Rockvariante zieht, der Prog Faktor mit Sinfonik und Bombast gestreift wird, haben Six North echte Klasse und dürften für Grenzgänger der Genre eine ernsthafte Alternative sein.

Kristian Selm



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