CD Kritik Progressive Newsletter Nr.46 (10/2003)

Vlad V - Vol.IV
(61:57, Record Runner, 2001)

Nach der einfachen Schablone "Wie schreibe ich eine Kritik für eine Prog CD", klingeln beim Instrument Flöte natürlich alle Alarmglocken. Na klar, als Vergleich muss jetzt natürlich Jethro Tull herhalten. Doch auf wundersame Weise trifft dieser Vergleich ziemlich genau die Faust aufs Auge, denn einiges anderes auf dieser CD weckt einfach recht starke Erinnerungen an Ian Andersons Truppe. Das geht sogar so weit, dass Vlad V unter den vierzehn Songs auf "Vol.IV" gleich drei Coverversionen gepackt haben, wobei zwei davon auch noch - welch große Überraschung - von Jethro Tull stammen. Bei der Kurzversion von "Thick as a brick" hangelt man sich noch am Original entlang, das knapp 2½(!)minütige Medley aus "Heavy horses", "Aqualung" und "My god" arbeitet nur noch mit Versatzstücken, die geschickt verbunden wurden. Fast ganz wie Ian Anderson bei Jethro Tull füllt bei Vlad V Jean Carlo die Rolle des Alleinunterhalters aus. Neben Gesang und Flöte, steuert er ebenfalls Gitarre, Violine, Viola, Mandoline und Mundharmonika bei, während seine Begleitmannschaft zwar solide Arbeit abliefert, aber doch gegenüber der Ominpräsenz ihres Bandleaders zwangsläufig zurückstecken muss. Erstaunlicherweise stammen Vlad V aus Brasilien, einem Land, das im progressiven Umfeld meist einen mehr weinerlichen, sanfteren Sound als Trademark mitbringt. Doch die fünfköpfige Band ist in dieser Hinsicht ganz anders gepolt. Bei ihnen geht deutlich rockiger und kraftvoller zur Sache. Sie verbinden, wie die offensichtliche Inspirationsquelle von den britischen Inseln, Elemente aus Blues und Hard Rock, Folk und Prog zu einer gut abgehangenen Melange. Während Vlad V im ersten Teil ihrer bereits 2001 aufgenommenen CD wirklich ansehnliches bis wirklich sehr gutes Niveau erreichen, schwächelt die Band leider im zweiten Teil zum Teil gehörig ab. Der Variations- und Ideenreichtum ist eher stampfendem Rock / Blues Rock gewichen, auch wenn die Flöte natürlich immer noch für eine deutliche Duftmarke sorgt. Zum Schluss kommen noch einige rettende Einfälle, die dann doch für einen einigermaßen versöhnlichen Schluss sorgen. Bis auf die Coverversionen - beim dritten Cover handelt es sich übrigens um "Move over" von Janis Joplin, dem leider der treibende Beat des Originals fehlt - wird übrigens ausschließlich in portugiesisch gesungen, wobei das expressive Rockorgan von Jean Carlo an manchen Stellen doch etwas zu überdreht zur Musik daherkommt. Starker Beginn, ordentliche Coverversionen, etwas lasches Ende. Wer eine abgeschwächte, aber dennoch gut gemeinte Tull Version mal auf brasilianisch hören möchte, der liegt bei Vlad V am ehesten richtig.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 2003