CD Kritik Progressive Newsletter Nr.46 (10/2003)

Las Orejas Y La Lengua - Error
(52:00, Viajero Inmovil, 2003)

Tja, man kann sich eben nicht immer aussuchen, was man so zur Besprechung vorgesetzt bekommt, besonders wenn man sich sklaventreibender Hauptschmierfink nennt! Eigentlich gehört dieses Album in den Norden unserer Republik geschickt, denn um es mal ganz unumwunden zu sagen: diese Scheibe ist eher etwas für Volkmar, den Spezialisten für Schräges und Ungewöhnliches. Zur Erweiterung der eigenen Belastbarkeit, ist es aber sicherlich kein Fehler, die Grenzen immer wieder neu auszuloten und zu definieren. Und da das zweite Album der argentinischen Formation Las Orejas Y La Lengua "Error" (=Fehler) heißt, wäre eine ebenso geniale, wie einfache Überleitung gefunden. War schon das Debüt keine einfach Kost, so geht es in verändertem Line-Up ähnlich unkonventionell weiter. Jazzige Fetzen, Strukturen, die irgendwie noch die Stücke in festen Grenzen halten, dennoch avantgardistisch wirken, hin und wieder ziemlich harter Tobak, der entfernt an Progressive Rock erinnert - so geht es auf diesem Album los und (fast) in einem fort. Gerade, wenn man sich in etwas hineingehört hat, werden schleunigst schräge Elemente, amelodische Experimentalpassagen oder extreme Dynamiksprünge eingeworfen. Irgendwie beschleicht einen schon nach kurzer Zeit das Gefühl, dass die Band sich um keinerlei Konventionen kümmert, die eigenen Grenzen ebenfalls ständig neu zieht, auf den Hörer dabei aber keinerlei Rücksicht genommen wird. In der zweiten Hälfte der CD fahren die Südamerikaner jedoch ihre Extremschiene gehörig zurück. Endlich gibt es "richtige" Kompositionen zu hören, vor allem getragen von einer melancholischen Atmosphäre. Da blitzt hin und wieder eine wunderbare, genial aufgebaute Stimmung auf, doch, was im ersten Teil zu undurchschaubar daherkommt, wirkt im zweiten Teil bisweilen zu zäh und träge. Soundcollagen über schleppendem Rhythmus, wobei natürlich einige schräge Töne nicht fehlen dürfen. Zuweilen wird im Grenzbereich zwischen R.I.O. und Jazz Rock gewildert, bisweilen klingt's sogar crimsonesk. Doch zu oft, verschwindet nach meinem Dafürhalten manch guter Einfall zu schnell in den Hintergrund. In den seltenen Momenten, wo aber alles stimmt, beweisen sich die Argentinier aber als ausgezeichnete Arrangeure. Schöne Melodien? Fehlanzeige. Vorausschaubarkeit? Nie und nimmer. Inhaltliche Brüche? Ständig. Ein Album, was einem die eigenen musikalischen Grenzen sehr schnell aufzeigt. Unharmonisch und unkonventionell.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 2003