CD Kritik Progressive Newsletter Nr.46 (10/2003)

Curlew - Mercury
(44:30, Cuneiform, 2003)

Veröffentlichen Cuneiform jetzt CDs zweier Bands mit dem gleichen Namen? Den Eindruck macht das neue Album von Curlew auf den ersten Höreindruck. So rocklastig, so modern produziert, so heftig, vital und freejazz-fern war keines der Alben zuvor. George Cartwright, Saxophonist und Kopf der Band, hat sich auf ein Abenteuer eingelassen. Curlew stammen aus dem No Wave. Das ist eine Weile her und die Band zeigte sich bereits mit den letzten Veröffentlichungen verändert. Doch so weit wie auf "Mercury" waren Curlew ihrem Ursprung bisher nicht entflohen. Obwohl 5 der 9 Songs auf George Cartwrightïs Kappe gehen, hat sich stilistisch ein Wandel vollzogen. Es geht um die Verquickung von Jazz und Rock, um eigenen Ausdruck. Darum ging es zwar schon immer, aber auf andere Art und Weise. Das ist kein qualitatives Kriterium. Die neuen Stücke von Curlew geben der Gitarre mehr Raum, sind härter, aber auch komplexer aufgebaut. Cartwright spielte sonst eher mit Simplizität im Nachhall des No Wave. Vor allem hat sich rhythmisch einiges getan. Schlagzeuger Bruce Golden, der eine Komposition beitrug, und Bassist Fred Chalenor entwerfen ein aufwändig-komplexes Geflecht, das den Songs eine fabelhafte Dynamik und kernigen Antrieb gibt. Chris Parker (key, p) und Dean Granros (g) vervollständigen das Line-Up mit virtuosem Spiel. Längst nicht alles ist hart und komplex. Die Band versteht es, dynamischen Songaufbau zu geben, in dem die teilweise avantgardistischen Themen aufbrausen und wieder in sich zusammenstürzen. Groove transportiert elegante Lässigkeit wie in "Ludlow", wo das Thema schmal ist und die Band entspannt, aber drahtig darum schweift. Ein bisschen scheint es, als sei egal, wie der Song nun weitergeht, doch die Energie des Stückes bestimmt sein Ende. "Still Still" als vorletztes Stück ist eine Variante zum Opener "Still". Ein treibend harter Song, der mit fast schon Dr. Nerve-mäßigem Charakter die jazzige Stille von "Late date / There is" und "Small red dance" torpediert. Und am Ende spielt das Quintett einen folkloristisch anmutenden Blues. "Song of new" treibt erst unentschieden dahin, bis das Ausbrechen der Instrumente thematische Verschiebungen entwirft, die das Stück aufbrausen und knapp unter dem emotionalen Höhepunkt versickern lassen. "Mercury" ist eine sehr interessante Arbeit, die das Saxophon-Spiel von George Cartwrigt, das natürlich großes Gewicht an der Produktion hat, in neuem Licht zeigt. Ein sehr modernes Werk, das die gerade wieder äußerst lebendige Jazzrock-Szene bereichert.

Volkmar Mantei



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