CD Kritik Progressive Newsletter Nr.46 (10/2003)
Adagio - Underworld
(63:36, Nothing To Say, 2003)
Bereits im Oktober 2000 begann Stephan Forté, Komponist und Gitarrist von Adagio, mit der Arbeit an "Underworld". Drei Jahre später liegt nun das beeindruckende Ergebnis vor - ein langer, steiniger Weg (vor allem was die Finanzierung dieses opulent orchestrierten Werkes angeht) von der Vision bis zum fertigen Endprodukt liegt hinter dem Franzosen. Während es inhaltlich nach innen gerichtet, um die Erforschung der dunklen Seiten des eigenen Seins geht, betrat er musikalisch mehrfach Neuland. Forté ließ sich von der Musik des bekannten Filmmusikkomponisten John Williams inspirieren, was in einigen cineastisch anmutenden Passagen keineswegs von der Hand zu weisen ist. Oftmals gibt's bombastischen, düsteren Breitwandsound, der sich gewaschen hat, orchestralen Heavy Metal in voluminöser Ausprägung. Gleichzeitig lieferten ihm aktuelle Death Metal Bands eine weitere Inspirationsgrundlage, womit die metallische Seite extremer ausfällt, dennoch fast komplett auf gesangliche Grunzeinlagen verzichtet. Durch melodische, powervolle Vokallinien, düstere, progressive Stimmungen mit kurzen Keyboardsoli, sowie Griffbrettakrobatik und Double Bass Drum im Dauerakkord wird die harte Seite weiter ausgeprägt. Die Ohren schlackern schon mal gewaltig, aber das ist glücklicherweise nicht alles. Die andere Seite von "Underworld" ist von Leidenschaft, Schönheit und Zurückhaltung geprägt. Balladenhafte Töne und vor allem klassische Parts, eingespielt von einem echten Orchester, sowie Choreinlagen verbinden Metal und Klassik als keineswegs gegenteilige Pole, aber auch nicht nach dem üblichen 08/15 Hau-Drauf-Muster "Wir machen jetzt Metal mit ein paar wilden Geigen und bedeutungsschwangerem Chorgesang dazu". Dabei dienen die äußerst zurückgenommenen, minimalistisch instrumentierten Passagen nicht nur als Gegengewicht zum gewaltigen Bombast der Powerfraktion, sie werden zum Teil neo-klassisch ineinander verwoben. Dadurch entsteht zwar nichts grundlegend Neues, aber die überzeugende Verbindung gelingt. Die gekonnte Verschmelzung verschiedenster Einflüsse sorgt für weitausladenden Heavy Bombast mit hohem Melodieanteil von einer beeindruckenden Dichte und Erschlagenheit, ohne letztendlich zu überdreht zu wirken. Die mehr als eine Stunde Musik geht ereignisreich, fast nur mit Songs im Longsongformat und viel flottem Tempo, vorbei und schnell springt man begeistert zur Repeat Taste. Dieses Album setzt sich überzeugend über Genregrenzen hinweg, auch wenn die Grundrichtung eindeutig im Metal zu suchen ist - ein metallisches Juwel der besonderen Sorte.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2003