CD Kritik Progressive Newsletter Nr.46 (10/2003)

Érik Baron - DésAccordes "Cordeyades"
(46:25, Cip Audio, 2003)

Welch dramatische Düsternis! Welch schwelgerische Radikalität und genüssliche Sezierung eingefleischter Klangvorstellungen! Erschreckend und faszinierend zugleich, anziehend und mitreißend - und dabei stets gefährlich, bedrohlich und angriffslustig. Die Musik klingt minimalistisch, zudem, als sei ein Trio, vielleicht ein Quartett am Werk. Doch weit gefehlt, 19 elektrische Gitarren und Bassgitarren haben zu dieser abstrakten Klangorgie beigetragen. Nicht etwa hintereinander, sondern stets alle auf einmal! "DésAccordes" bezieht seine durchaus unterschiedlichen Ambitionen aus Einflüssen von Fripp, Toeplitz, Reich, Eno oder Branca. Die stets überzeugende und vielfältig variable und dabei äußerst präzise Arbeit des Ensembles, dem ein Harpist und zwei Perkussionisten hilfreich zur Seite stehen, könnte als Filmmusik durchgehen, wenn die Dramatik, die Dichte der Musik nicht so ergreifend, so konkret fordernd wäre. Möglich, dass es einen Film dazu geben mag, ein ebenso avantgardistisches Gefüge, das differenzierte, erschütternde Bildfolgen liefert. Aber besser nicht, die Musik lebt ohne Ablenkung eindrucksvoll genug. Niemals macht das in 12 Tracks untergliederte Werk den Eindruck, dass diese Menge an Musikern involviert ist. Und dennoch ist die Mächtigkeit eindrücklich zu spüren. Schwer düster, abstrakt und extravagant spielt das große Gitarrenensemble; disharmonische, monotone, wie eine Armee angriffslustige Strukturen entwerfend. Progressive Rock ist das gewiss nicht, eher ein weit entfernter Verwandter von Magma oder Univers Zero. Ein Studioprojekt für ein modernes Theaterstück (das die Bühne für sich allein brauchte!), ein Kunstwerk in sich. Oftmals eher unverständlich und doch faszinierend. Immer wenn die "Band" lauter spielt, sich ein strukturierter Klang bildet, macht sich Erleichterung breit, doch zumeist gehen die Gitarristen leise, verspielt, minimalistisch vor und verunsichern, bedrohen, zermürben. Da brechen harsche Töne aus, zerbersten über der Stille, kracht das Rhythmusgefüge, jaulen, kratzen, schnarren Töne. Eine finstere Angelegenheit, die einen kalten Schauer über den Rücken jagt! Es verlangt Experten, diese nuancierte Orgie tonaler Zerstörung zu genießen. Diese werden entzückt sein, denn ein so aufwändiges Werk, allein von der Anzahl der involvierten Musiker oder der geschriebenen Notenblätter, braucht Förderung, die es in permanent leeren europäischen Kassen nicht bald wieder geben wird.

Volkmar Mantei



© Progressive Newsletter 2003