CD Kritik Progressive Newsletter Nr.43 (03/2003)

Oxygene8 - Poetica
(56:55, Privatpressung, 2002)

Auf den ersten, oberflächlichen Blick, erweckt "Poetica" von Oxygene8 den Eindruck, als ob es sich hier lediglich nur um ein weiteres Projekt aus den dunklen Verließen eines Heimstudios handelt. Doch bereits beim Lesen des Kleingedruckten wird die Spannung, auf dass, was man zu hören bekommt, erheblich angeregt und gesteigert. Neben Linda Cushma (Gesang, Midi Chapman Stick, Gitarrensynth und Loops) und Frank D'Angelo (Midi Electric Guitar, Gitarrensynth und Loops) wird das Duo vom ausgezeichneten, ehemaligen Primus und Attention Deficit Drummer Tim Alexander unterstützt, für das Mastering war Kings X Gitarrist Ty Tabor zuständig. Und deren beide Unterstützung wirken sich hörbar nachhaltig auf "Poetica" aus. Zum einen sorgt der variable, aber druckvolle Schlagzeugstil von Tim Alexander für den nötigen Drive und lockere Komplexität, zum anderen verlieh das Mastering von Ty Tabor dem Album einen ausgezeichneten, sehr transparenten Klang. Stilistisch sieht Frank D'Angelo die Band schlichtweg als Progressive Band. Da dies alles oder auch nichts bedeuten kann, liegt es am Rezensenten, hier mehr aus der Musik herauszukitzeln. Ganz grob erinnern Oxygene8 an eine Mischung aus Rush (Gitarrensounds, zeitweise Härtegrad der Musik) und King Crimson (experimentellere Sounds, musikalischer Ansatz der Arrangements). Doch wie immer steckt in so einem Vergleich nur ein gewisse Ähnlichkeit - Oxygene8 sind komplexer als Rush, aber rockiger als King Crimson - denn bei dem Duo aus Phoenix ist die eigenständige Note durchaus erkennbar. Geschickt mischen Cushma / D'Angelo rockig-erdige Stücke, die durchaus über einen komplexen Grundcharakter verfügen, mit fast schon mystischen, soundscapeartigen Songgebilden, die von Atmosphäre und innerer Ruhe geprägt sind. So bekommt die Rohheit, die komplexe, gut durchdachte Aggressivität, immer wieder klangliche Rückbesinnung als Gegenpol verordnet, was dem Album eine sehr gute innere Balance verleiht. An manchen Stellen wurden die fast schon avantgardistischen Soundcollagen zwar etwas zu arg überstrapaziert, dies diente aber wohl vor allem dazu, den offenen, improvisativen Charakter der instrumentalen Stücke zu unterstreichen. Bei den Gesangstitel hingen vertraut Linda Cushma auf eine breite vokale Palette, die von Sprechgesang, verhaltener Trotzigkeit bis hin zu weicher Intonation reicht. Als zweites Merkmal fällt auf, dass die atmosphärische bzw. melodische Palette dem Album gut tuende verschiedenartige Stimmungen verleiht. Neben den kernigen Rockern, gibt es auch ganz 'normale' Songs, die eigentlich aus der Progressive Rock Schublade herausfallen, aber durch ihren mystischen Charakter, doch einen ganz eigenen Charme versprühen. "Poetica" ist somit ein sehr interessantes, äußerst vielschichtiges Debüt, welches an manchen Stellen in aller Konsequenz noch nicht ganz zu Ende gedacht wurde, welches gerade bei den Melodien noch einen Schuss mehr Brillanz verdient hätte. Vor allem ist Oxygene8 aber hoch anzurechnen, dass sie nicht nur einfach in der Vergangenheit graben, sondern sehr zeitgemäß klingen. Ein Band mit Potenzial für mehr, die aber auch jetzt schon beweist, dass sie einiges auf dem Kasten hat.

Kristian Selm



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