CD Kritik Progressive Newsletter Nr.42 (12/2002)
Melbourne - Night star
(56:03, Mystic Records, 2002)
Carrie Melbourne, eine der derzeit drei aktiven weiblichen Chapman Stick Player, legt nach längerer Solopause mit "Night star" ihr zweites Soloalbum vor. Die Bassistin, u.a. auch in der Band von Mike Oldfield während dessen "Millennium" Spektakels in Berlin aktiv, heimste für ihr Debüt "Indian ocean" jede Menge positive Kritiken ein, so dass einige Kritiker und Fans bereits gespannt auf den Nachfolger warteten. Unterstützt wird sie auf ihrem aktuellen Werk von ihrem Ehemann Doug Melbourne, der ansonsten bei der Genesis Coverformation ReGenesis die Tasten drückt. Drittes Bandmitglied ist Jamie Fisher am Schlagzeug, wobei zusätzlich weitere Gäste an Gitarre und Cello ihren Beitrag leisten. "Night star" wird nun keineswegs, wie man vielleicht auf den ersten Blick meinen könnte, zu offensichtlich vom Chapman Stick dominiert, sondern die mannigfaltigen klanglichen Möglichkeiten dieses Instrumentes dienen viel mehr als Basis für einen groovigen, mystischen Rhythmus. Jede Menge World Music Einflüsse (mal indisch, mal folkig) durchziehen die größtenteils eher ruhig gehaltenen 11 Tracks, die zum Teil aber auch in recht schwungvolle Gefilde aufbrechen. Darüber erhebt sich die samtene, zerfließende Stimme von Carrie Melbourne, die verträumt den Liedern einen geradezu ätherischen Touch verleiht. Der eigentliche Zauber der Musik liegt aber vor allem in der Verbindungen von dunklen, popigen Melodien mit modernen Rhythmusmustern und Sounds verborgen. Von dunklen Stimmungen durchzogen, sind die eher einfach gehaltenen Melodielinien untermauert von sparsamer, vorwärtstreiben, zugleich aber sehr effektvoller Instrumentierung. In der Gesamtwirkung entstehen daraus sorgsam arrangierte Kleinodien voll Schönheit, Zerbrechlichkeit und Traurigkeit. Als interessante Ergänzung schleichen sich hier und da sogar progressive Zitate ein, "Numbskull (Unravelled)" bekommt so z.B. einige schwebende Keyboardsequenzen in der Stimmung von Genesis "Entangled" verpasst und "Love remains" erinnert mit seinen umspielenden Läufen an einen Tony Banks. Vor allem die modernen Beats und Rhythmen lassen die Musik sehr aktuell erscheinen, wobei sich Carrie Melbourne nicht irgendeinem Trend anbiedert, sondern die verschiedenen Einflüsse zu etwas ganz eigenem verwebt, welches sich mal für den anspruchsvollen Dancefloor oder als Gegensatz zum entspannten Chill-Out eignet. Zugängliche, nie banale, wenn auch irgendwie recht traurige, sehr atmosphärische Musik, deren intelligente Verpackung "Night star" zu einem melancholischen Hörgenuss abseits aktueller Strömungen wachsen lässt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002