CD Kritik Progressive Newsletter Nr.42 (12/2002)
Klaus König - Black moments
(65:05, Enja Records, 2002)
Das seit langen Jahren aufgrund der Veröffentlichungspolitik der Musikindustrie sowie der Einkaufspolitik der Plattenläden von mir etwas vernachlässigte wöchentliche Ritual des Rundgangs durch die örtlichen Tonträgerverkaufsstellen hat mir doch tatsächlich an einem verregneten Mittwochnachmittag im Oktober ein tontechnisches Highlight beschert, wie es so unerwartet und grandios bestimmt seit mehr als 20 Jahren nicht mehr auf die gespannten Ohren getroffen war. Gott-sei-dank war das auffällige, glänzend schwarze Digipack mit der Aufschrift "Black moments" über dem Bild einer Sonnenfinsternis nicht, wie eigentlich für den verantwortlichen Künstler üblich, im Bereich Jazz einsortiert. Weil ich den aufgrund des Mangels an interessanten Veröffentlichungen nämlich schon lange meide, wäre mir dieses bereits achte Opus des Kompo-/Posaunisten wahrscheinlich verborgen geblieben. Da sich der Independent-Bereich, unter inkompetenten Verkaufsgehilfen fast immer letzter Ausweg für die Zuordnung nicht kategorisierbarer Scheiben, allerdings zwischen Rock und Metal befindet, konnte die Signalfunktion des Covers ihre Pflicht erfüllen und mich zum näheren Betrachten verleiten. Obwohl die Wahrnehmung des Jazzlabels Enja die Sinne nicht besonders beflügelte, schritt ich zur obligatorischen Überprüfung von a) Line-up und b) Länge der Tracks. Und schon war's passiert: Wer sich und seine Kompositionen mit dem britischen Avantgarderocksänger Phil Minto, einer 11-köpfigen Bläsertruppe, einem (leider nur virtuellen) Chor und einer rockverdächtigen Viererformation aus 2 Gitarren, Bass und Schlagzeug der Vertonung von Gedichten des geschätzten E.A. Poe widmet, kann nicht ungehört weggesteckt werden......und richtig, es scheint, als sei endlich wieder einmal Zeichen aus dem Elfenbeinturm des Jazz in die Niederungen der Rockmusik geschickt worden. Die beiden elektrischen (!!!) Gitarren unterstützen und ergänzen die Melodieführung der Bläser, Bass und Schlagzeug rocken, was das Zeug hält, scheinen Spaß daran zu haben, die in der Szene übliche vornehme Zurückhaltung über Bord werfen zu dürfen, und gefallen auch in Beschaulich-Düster-Atmosphärischem. Der Meister bedankt sich artig by Type-O-Negative für die Inspiration und im Promosheet steht was von "Neuerfindung des Gothic-Artrock"... Wahrscheinlich weiß "da drüben" keiner, wie viele Bands aus der Rockszene beständig dabei sind, Genregrenzen, auch und gerade zum Jazz zu sprengen, aber wir können uns jetzt erst mal richtig drüber freuen, dass tatsächlich was aus der Gegenrichtung kommt. Hätte ich mir sehr gut als neue Colosseum-Scheibe vorstellen können, verstärkt mit ein paar genialen Bläsern und zwei Metalgitarristen.
Charly Heidenreich
© Progressive Newsletter 2002