CD Kritik Progressive Newsletter Nr.42 (12/2002)
Michael Harris - Sketches from the thought chamber
(52:13, IMF Records, 2001)
Die Soloalben von Gitarristen aus der Heavy Schiene lassen sich grob in drei Kategorien aufteilen. Da gibt es die, die meinen es technisch drauf zu haben, dabei aber leider nur einen sehr lauwarmen Abklatsch der Vorbilder reproduzieren, sich völlig in ihrer spieltechnischen Unzulänglichkeit bis hin zur Peinlichkeitsgrenze und Selbstkarikatur verzetteln. Die zweite Kategorie gehört den Saitenfreaks, die sich völlig selbstverliebt in der wahnwitzigen Aneinanderreihung von schnell hintereinander gespielten Tonfolgen verlieren. Das technische Grundverständnis ist vorhanden und auch spieltechnisch gibt's nichts zu mosern, leider vergessen die meisten dabei auf ihrem Egotrip, wie man ein Arrangement für den Zuhörer anhörbar gestaltet. Und glücklicherweise gibt es noch die dritte Sorte, die es gesunde Balance aus Technik und Melodik gefunden haben. Diese müssen nicht ständig zeigen, was sie wirklich drauf haben, sondern ihr Können wird weitgehendst in das Umfeld von songorientierten Kompositionen gestellt. Michael Harris, in Ohio geboren, inzwischen in Texas lebend, gehört zur dritten Kategorie, wobei er mit seinem zweiten Album "Sketches from the thought chamber" ein äußerst ansehnliches, recht vielschichtiges Werk vorgelegt hat. Ein Grund für den musikalischen Gehalt dieses Albums liegt sicherlich in der Vergangenheit begründet, denn zum einen stammt Harris aus einer musikalischen Familie zwischen Jazz und Klassik, zum anderen öffnete er sich selbst den verschiedensten Spielrichtungen, die von Hard Rock, Blues, Jazz Rock, Fusion bis hin zum Progressive Rock reichten. Genauso so vielschichtig wie die verschiedenen Einflüsse, gibt sich der Saitenvirtuose dann auch auf "Sketches from the thought chamber". Zwar herrscht die progressive Heavy / Hard Rock Schiene fort, doch wechselnde Gitarrensounds, eine nicht zum Selbstzweck verkommene Spielfreude und die verschiedenen Stile, die auch mal für schräge Wechsel sorgen, machen aus diesem Werk eine durchaus kurzweilige Angelegenheit. Mit diversen Schlagzeugern und einem Gastbassisten fällt das Album auch nicht in die "Ich-mach-lieber-alles-selber" Falle, sondern seine Mitmusiker bieten Paroli und sind mehr als nur ergänzendes Beiwerk. Wer auf mehr als nur schmuck- und sinnlose Griffbrettakrobatik steht, der ist bei diesem Album genau richtig.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002