CD Kritik Progressive Newsletter Nr.42 (12/2002)
Aside Beside - Tadj Mahall Gates
(60:33, Musea, 2002)
Mit vollmundigen Ankündigungen sparte Musea ja noch nie bei ihren Presse-Infos. Dass die umtriebigen Franzosen zum Großteil durchaus interessante Veröffentlichungen ans Tageslicht befördern - seien es nun Reiusses oder neue Interpreten - mag dies zum Teil durchaus rechtfertigen. Doch das Label aus Metz schoss ebenfalls einige Mal sehr weit über ihr Ziel heraus, lehnte sich zu weit aus dem Fenster. So kriegt man meist beim Lesen der Platteninfos den Eindruck nicht los, fast jedes mal ein neues epochales Meisterwerk der Musikgeschichte in den Händen zu halten, was die Erwartungshaltung gegenüber den Veröffentlichungen nicht gerade einfach macht und ebenfalls für eine gesunde Skepsis sorgt. Denn wie kann es sein, dass fast jeden Monat angeblich neue epochale Meisterwerke für die Ewigkeit veröffentlicht werden? Auch Aside Beside werden wieder mit salbungsvollen Worten angepriesen. Ganz bescheiden als Führer der Welle der neuen französischen Bands vorgestellt, gibt es einen namentlichen Rundschlag der Vergleichsmomente, der detailliert die Gitarre Steve Hacketts, die Keyboardsequenzen eines Tony Banks, eine Flöte im Stil von Andy Latimer, sowie Mellotronpassagen im Stil von "In the court of the Crimson King" zu hören vermag, als Bands kommen dann auch noch Pulsar und Spock's Beard ins Spiel. Erinnert irgendwie an den ironischen, überaus köstlichen, auch im Internet befindlichen Artikel "Wie schreibe ich eine Kritik über eine Prog Scheibe?" (z.B. ist es immer wichtig das Wort Mellotron zu erwähnen, auch wenn es auf der CD gar nicht vorkommt!) Da ist es natürlich konsequenterweise recht logisch, dass es sich bei "Tadj Mahall Gates" um das besten Progressive Rock Album des Jahres 2002 handelt. Noch Fragen? Wie so oft liegt Anspruch bzw. Wunschdenken der Plattenfirma und Realität irgendwo zwischen den Extremen. Um es jedoch gleich vorweg zu nehmen: bei "Tadj Mahall Gates" handelt es sich wirklich um ein gutes bisweilen sehr gutes Album, dass sicherlich seine Anhänger finden wird. Die vorderen Plätze in den Jahreschart werden aber mit ziemlicher Sicherheit andere Alben und Interpreten belegen, wobei die Spitzenpositionen wiederum unter den üblichen Verdächtigen ausgemacht wird. Was das französische Quintett auf seiner Habenseite verbuchen kann, ist das gekonnte Gespür klassische Momente und Progressive Rock der alten Schule, der klanglich, wie kompositorisch tief in den 70ern verwurzelt ist, zu einer homogenen, durchaus interessanten Neuinterpretation zu verschmelzen. Da wird selbst eine Bläsersektion, wie auch stimmgewaltiger, klassischer Gesang zur Ergänzung aufgefahren, das ganze Album atmet unweigerlich den Geist der Vergangenheit, man meint fast ständig sich durch ein vergessenes Werk, dass bereits 30 Jahre auf dem Buckel hat, durchzuhören. Die ebenfalls bereits oben erwähnte Affinität zu Genesis ist der augenscheinlichste Vergleichsmoment, besonders Gitarre und einige Liedsequenzen wecken die Erinnerung an die klangvolle Vergangenheit der Briten. Geschickt wird zwischen melancholischen, traurigen und mehr sinfonischen, bombastischen Passagen gewechselt, der Komplexitätsfaktor hält sich in der vertretbaren, keineswegs überladenen Bahnen, auch wenn es hier und da mal sogar leicht jazzig wird. In manchen Momenten hätte man sich gewünscht, dass die Band doch durchaus etwas mehr hätte wagen können, konsequenter ihren eigenen Weg noch mehr gegangen wäre, da die wirklich herausragenden Überraschungen, die sofort präsenten Erinnerungsmomente ausbleiben. Zu der runden Produktion, der klanglichen Geschlossenheit, kommt mit Lionel Giardina ein durchaus ansprechender Sänger, den man keineswegs den francophilen Ursprung anhört, der auch ansonsten mit seiner leicht zerbrechlich wirkenden Stimme der Musik eine interessante Note verleiht. Noch eine Info am Rande: die Distribution von Musea in Deutschland wurde inzwischen von Point Music übernommen, so dass man keinerlei Probleme haben sollte über den Fachhandel an deren CDs zu kommen.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002