CD Kritik Progressive Newsletter Nr.41 (09/2002)

The Red Masque - Victoria and the Haruspex
(48:05, Privatpressung, 2002)

Öha, dieses Album ist ja wirklich harter Stoff! Nix mit schnell man in eine beliebte Schublade stopfen, keines von diesen Alben, welches sich sofort erschließt und man mal kurz so nebenbei kritikmäßig abvespern kann. Nein, für The Red Masque braucht man einiges an Zeit und an manchen Stellen auch recht gute Nerven, um nicht gleich aufzugeben. Doch der Reihe nach. The Red Masque ist ein fünfköpfige Formation von der amerikanischen Ostküste, die schon mal mir ihrem Instrumentarium in ungewöhnliche Grenzen vorstoßen. Neben dem üblichen Gerätschaften einer Rockband, gehören auch Harfe, Didgeridoo und Glockenspiel zu einem nicht gerade unbedeutenden Maße zum Handwerkszeug des Quintetts. Wer außerdem seinen Progressive Rock lieber eher vorausschau- und berechenbar haben möchte, der kann gleich zur nächsten Kritik springen, denn The Red Masque gehören zu denen Formationen, die sich anscheinend nur sehr gering um irgendwelche Konventionen und Stilgrenzen kümmern, denn jedes der vier Stücke auf dieser CD lebt in seinem ganz eigenen Mikrokosmos. Es beginnt mit dem über 24-minütigen "Haruspex", einem komplett improvisierten Stück, welches nach wunderbar melodischen und spannungsgeladenen Beginn in eine bizarre Reise aus schrägen und dissonanten Tönen mündet. Der Hörer wird regelgerecht durchgerüttelt, mit diesem Chaos alleingelassen, ohne die Chance Halt zu finden. Kurze Fragmente erinnern an die Projekts von King Crimson, mal flammt etwas magmaeskes auf, dann ziehen eigenartige Soundscapes vorbei, der Gesang kommt völlig abgespact daher. Nach 14 Minuten gibt es immerhin zum ersten mal so etwas wie eine durchgehende, melodiebepackte Idee im Stil von 70er Progressive Rock, aber diese Momente sind nur von kurzer Dauer. Wirklich sehr starker Tobak und auf Dauer recht anstrengend. Das folgende "Birdbrain" ist da schon von ganz anderem Kaliber. Getragen von hohem, elfenartigen Gesang, steigert sich dieser Titel langsam aber sich in einen fulminanten, abgedrehten Gitarren- / Keyboardpart. Stilistisch hört man hier deutlichen 70er Progressive Rock Einfluss heraus, ganz grob wie eine Mischung aus VdGG und Psychedelic Rock. Weiter geht es mit dem akustischen, sehr folkigen "Afterloss", weniger chaotisch und eher sparsam arrangiert, sowie als völlig überraschenden Schluss mit "Cenotaph" einen klassisch inspirierten Titel, der nur von der Harfe getragen wird. Traurig, aber schön. "Victoria and the Haruspex" ist ein ungewöhnliches Album voller inneren Wendungen und Brüche. Wer nach neuen Höreindrucken sucht, wird bei diesem nicht leicht verdaulichen Album fündig werden.

Kristian Selm



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