CD Kritik Progressive Newsletter Nr.40 (06/2002)
Archive - You look all the same to me
(66:46, Eastwest, 2002)
Das mittlerweile dritte Album der Londoner Trip- Hopper Archive "You look all the same to me" schlägt eine für die Band neue Richtung ein (genau deswegen ist das Album ja überhaupt für unsere progressive Leserschaft interessant): Archive wagt auf diesem Album ein musikalisches Experiment, welches in dieser Konsequenz noch niemand gewagt hat, verbindet es doch zwei Genres, die in der Vergangenheit bestenfalls miteinander kokettiert haben - den progressive Rock der 70er Jahre artrockiger Prägung (Pink Floyd und Co.) und den Trip- Hop der 90er Jahre. Archive produzieren dabei einen hypnotischen, spacigen aber dennoch modernen Sound, der den Songs viel Raum zu Entwicklung lässt. Dabei nutzen sie die Rhythmik und die melancholische Grundstimmung des Trip-Hops und die Epik und die Symphonik des Artrocks (etwa Air meets Porcupine Tree). Heraus kommt eine höchst orchestrale Mischung, die viel von der Suggestionskraft und der Dramatik klassischer Soundtracks in sich birgt. Exemplarisch für dieses Konzept ist der herausragende Opener "Again" mit deutlichen Anleihen an Bands wie Talk Talk, Pink Floyd und Massive Attack, sei es durch die melancholische Stimme des neuen Sängers Craig Walker (ein absoluter Glücksfall für die Band!), sei es durch die Songstruktur, die gleich einer Metamorphose dem Song sehr viel Zeit (und Raum, auch musikalischen Raum) lässt, sich zu entwickeln. Faszinierend dabei, mit welch einfachen musikalischen Mitteln Archive dabei auskommt. Einfache Akkordfolgen werden quasi ad libidum wiederholt und nur langsam, kaum merklich variiert. Anhänger der Frickel-Fraktion werden hier kaum auf ihre Kosten kommen, die Freunde atmosphärischer Musik schon. Vielleicht ist es ja gar nicht so vermessen zu sagen, dass Archive auf "You look all the same to me" das geschafft haben, womit Marillion mit Songs wie "This is the 21st century" gescheitert ist. Fans beider Genres könnte diese Scheibe dazu anregen, über ihren musikalischen Tellerrand zu gucken. Eines der wichtigsten Alben des Jahres, weil es der erstarrenden Szene einen Impuls von Außen geben und weil es gleichzeitig neue Freunde für elaborierte Rockmusik gewinnen könnte.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2002