CD Kritik Progressive Newsletter Nr.40 (06/2002)
Kotebel - Mysticae visiones
(50:45, Musea, 2001)
Wann hat man im "normalen" Rockbereich denn schon mal die Möglichkeit etwas aus Spanien zu hören? Gerade die Faszination eine musikalische Reise quer über alle Kontinente zu unternehmen, macht sicherlich nicht einen unerblichen Reiz der weltweiten Underground Progressive Rock Familie aus - ich warte ja immer noch auf die erste Band aus China oder Indien, aber irgendwie scheint dort die diese Sparte wirklich völlig im Untergrund zu versickern oder ist wahrscheinlich gar nicht präsent. "Mysticae visiones" ist das zweite Album der iberischen Formation Kotebel, die sich aber mehr als Projekt, denn als wirklich Band sehen. Um den Kern Omar Acosta (Flöte), César García Forero (Gitarre), Carolina Prieto (Gesang) und Bandleader Carlos Plaza (Keyboards, Bass, Percussion) werden die passenden Gastmusiker hinzugefügt, beim vorliegenden Album ist dies lediglich Francisco Ochando am Cello. An der instrumentalen Besetzung kann man schon in etwa erkennen, wo die Schwerpunkte bei Kotebel liegen. Besonders durch Hinzunahme von Flöte und Cello, sowie in meist sehr sparsamen Arrangements, bekommen die zwei Kompositionen "Mysticae visiones" (über 35 Minuten lang) und das von Hermann Hesse's "Siddartha" inspirierte "The river" (knapp 15 Minuten) einen sehr klassisch angehauchten Touch. Auf der Homepage der Band wird der musikalische Ansatz noch deutlicher, denn ein wichtiger Ansatz von progressiver Musik ist "als gültiges Transportmittel der höchsten Stufen von Schönheit und Inspiration zu dienen." Deswegen geht Carlos Plaza auch den mehr akademischen Ansatz von sogenannter "ernster" Musik. So geht den beiden langen Titeln leider ein gewisses Maß von Leichtigkeit ab, die Bedeutungsschwere ist aber dennoch nicht so überzogen, als dass man hier vor Erfurcht erstarren müsste. Trotzdem bekommt man auf "Mysticae visiones" mehr Musik zum genauen Zuhören geboten, in der sich Spannung und Stimmungen langsam entwickeln, aufbauen und wieder abebben. Neben der Flöte, sind vor allem sphärische Keyboardteppiche das deutlichste Merkmal von Kotebel, was hier und da für New Age Akzente sorgt. Doch zur Aufrüttlung sind immer wieder einige jazzige, leicht nervöse bzw. wunderbar sinfonische Parts eingeflochten, die alleine durch den Schlagzeugsound aus der Steckdose eine synthetischen, nicht gerade lebendige Unterbau bekommen. Der Gesang wird lediglich als musikalisches Stilmittel ohne Text, nur mit schwebenden engelartigen "Ahh-Ahh"s sehr geschmackvoll eingesetzt. Sicherlich ist "Mysticae visiones" vom künstlerischen Aspekt her gelungen und auch handwerklich - abgesehen vom sterilen Getrommel - sorgt der Brückenschlag zwischen Progressive Rock, Klassik und Jazz Rock für interessante Eindrücke, dennoch spricht dieses Album, trotz aller Qualität, eine sehr spezielle Klientel an.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002