CD Kritik Progressive Newsletter Nr.40 (06/2002)

JetLag - Delusione Ottica
(49:36, Lizard, 2002)

Nach einem Flug durch mehrere Zeitzonen, und dem daraus resultierenden Jetlag, hat man unweigerlich das Gefühl von betäubter Desorientierung, schleichender Müdigkeit, einen nervösen Magen, insgesamt den Eindruck einfach nur noch neben sich selbst zu stehen. Ganz so schlimm sind die Auswirkungen zwar nicht, wenn man sich die Musik von JetLag anhört, aber die aus Reggio Calabria in Italien stammende und seit 1996 existierende Formation, wirbelt zweifelsohne die Sinne kräftig durcheinander. Klassischer 70er Jahre Progressive Rock, verbandelt mit Jazz Rock Zitaten: dynamisch, kraftvoll, aber auch mediterran verspielt, vergleichbar mit der Energie von Deus Ex Machina - so geben JetLag von Anfang an mächtig Gas und fordern den Hörer von der ersten Sekunde. Doch nicht nur die auf den ersten Blick mitreißend chaotischen Arrangements haben das gewisse Etwas, sehr gute Technik und das Gefühl die Instrumente passend einzusetzen verleiht "Delusione Ottica" eine ganz eigene Faszination. Doch finden sich neben temporeichen Ausschweifungen, vorangetrieben von der groovenden Rhythmustruppe und ausgeschmückt mit zündender Gitarre, prägnanten Keyboards (Hammond, Synthesizer, Mellotron), eindringlicher Flöte, auch Platz für akustische Besinnlichkeit, fesselnde Melodik und Ruhe. Das Ganze gipfelt in dem das Album abschließenden, über 16-minütigen Longsong "Mare Nostrum", der mystisch mit Didjeridoo beginnt, sich aber danach durch wandelnde Stimmungen arbeitet. Mal sanft, dann wieder hektisch, mal mit voller Bandbesetzung unter Volldampf, dann wieder introvertierte Pianolinien ganz alleine - die Gegensätze und Dynamikwechsel reißen den Hörer strudelförmig immer tiefer in die Musik hinein. Hinzu kommt noch leidenschaftlicher hauptsächlich italienischer Gesang, der mit mediterranem Flair zwar qualitativ hinter der Musik steht, aber dennoch ein wichtiger Bestandteil von JetLag ist. Für "Delusione Ottica" benötigt man zweifelsohne mehrere Durchläufe, um die unbändige Energie dieser Scheibe aufnehmen und alle Nuancen erkennen zu können. Ein Album, das aufwühlt, aber auch begeistert. Hoffentlich mehr als nur ein Geheimtipp!

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 2002