CD Kritik Progressive Newsletter Nr.40 (06/2002)
Ficción - Sobre el Abismo
(61:50, Musea, 1986/2001)
Die Archive an progressiver Musik scheinen schier unerschöpflich zu sein. Ein Spezialist für Ausgrabungen aus allen Jahrzehnten ist seit jeher Musea, die sich bei Ficción einer venezulanischen Band aus den 80ern angenommen haben. Das lateinamerikanische Trio, zu den Aufnahmen bestehend aus Ignacio Lares (Keyboards), Jaime Hernández (Schlagzeug) und Luis Contrera (Bass, Gesang) existierte seit 1976 und fand sich letztes Jahr nochmals zusammen, um zwei Bonustracks für die CD Version von "Sobre el Abismo" aufzunehmen. Anhand der Besetzung ist schon erkennbar, dass besonders die Keyboards im Vordergrund stehen, die in äußerst virtuoser und abwechslungsreicher Weise bedient werden. Dabei kommt Ignacio Lares sicherlich sein Musikstudium zu Gute, denn er wirbelt über die Tasten, dass es eine wahre Freude ist. Doch zwischen seinen temporeichen Soloauflügen, vorangetrieben vom ebenfalls sehr virtuos agierenden Rhythmusduo, stehen prägnante, in spanisch gesungene Vokalpassagen, die einfacher, eindringlicher gehalten sind, so aber einen gut funktionierenden Gegenpol zum instrumentalen Können setzen. Leider klingt die Soundqualität so, als ob die Aufnahmen von alten Tapes heruntergezogen wurden. Im großen und ganzen okay, bloß mit ein paar klanglichen Aussetzern und dumpfen Klangbild versehen. Dies kann aber keineswegs vertuschen, dass die drei Iberer die im oberen Mid-Tempo Bereich angelegten Kompositionen mit jeder Menge Energie und Leidenschaft umsetzen. Manchmal erinnern sie an die nordamerikanischen North Star. Flott gespieltes elektronisches Piano und Synthesizer verschaffen den vielen instrumentalen Passagen einen mitreißenden Drive, der von Emerson Vergleichen bis hin zu leichtem Jazz Rock und Fusion Einfluss reicht. Dummerweise geht den Titeln im hinteren Teil der CD der Dampf und Elan des vorher gehörten etwas verloren, womit das Album gegen Ende etwas durchhängt. "Sobre el Abismo" gehört in die Phalanx der guten hörenswerten Keyboardalben. Und auch wenn hier und da einige Sounds leicht käsig wirken, kann dies den insgesamt doch recht positiven Gesamteindruck keineswegs schmälern.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002