CD Kritik Progressive Newsletter Nr.40 (06/2002)
Exodus - The most beautiful day
(56:30, Universal Music Polska, 1980)
Exodus - Najpiekniejszy dzien
(73:45, Pomaton, 2000)
So ein Mist, wenn man kein polnisch versteht! Bei den vorliegenden Reissues von Exodus ist leider ohne die entsprechenden landessprachigen Kenntnisse wirklich nichts zu machen. Deswegen nur die Infos, die zweifelsfrei feststehen. Bei "Najpiekniejszy dzien" (tut mir leid, dass mein PC keinen polnischen Schriftsatz hat) handelt es sich um eine Kompilation mit Titeln aus den Jahren 1978-83, wobei netterweise im Booklet nicht erwähnt wurde, von wann die einzelnen Aufnahmen stammen, man dies aufgrund der musikalischen Ausrichtung eher selbst erraten darf. Auch über den Background der Band liegen keine weiteren Infos vor, da das Album aber bei einer Tochter von EMI in Polen aufgelegt wurde, kann wohl davon ausgegangen werden, dass man in der Heimat über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügte. Deswegen jetzt zu den Fakten: leider gehen die insgesamt 13 Titel vom musikalischen Gehalt und Qualität sehr stark auseinander. Da wäre auf der einen Seite der sinfonisch-melodische Opener "Niedokonczony sen", der eindeutig im Art Rock der 70er verwurzelt ist und mit feiner Akustikgitarre und klassischem Keyboardsound in wunderbarem Bombast gipfelt. Auch der polnische Gesang kann mit Gefühl und Ausdruck überzeugen. Bei "Zloty promien slonca" weht der Wind sehr überzeugend aus der neo-progressiven Richtung, teils mit Genesis bzw. Yes Einschlag im typischen 80er Jahre Gewand. Kleiner Schönheitsfehler am Rande: die Keyboardmelodie klingt irgendwie sehr verdächtig nach einer anderen Neo Prog Nummer aus den 80s, habe aber leider immer noch nicht rausbekommen nach welcher. Ganz so geht es auch mit den nächsten Titeln weiter, die eine richtig dufte, manchmal eine Spur zu biedere Mischung aus melodischen, leicht angetagt klingendem Neo Prog und 70er Elementen mit wunderbaren Gitarrenmelodien und Keyboardläufen bieten. So weit, so gut! Ab Titel 5 schlagen dann auf einmal ganz deutlich New Wave Elemente durch. Das klingt zu Beginn noch relativ gelungen, verleiht der Musik etwas frischen Wind, auch wenn deswegen natürlich die Band etwas straighter musiziert. Wie gesagt, bei "Jestem automatem" eine durchaus gelungene Vermischung ganz im damaligen Zeitgeist. Doch leider werden im Anschluss nicht nur die Songs simpler gestrickt, auch der Gesang nimmt einige nicht gerade schön anzuhörenden Wendungen, schwankt zwischen piepsigem Flüstern und nörgelndem Geschmettere. Spätestens bei "Praktyczny kolor" ist dann der New Wave Überhang und geradlinigere Aufbau so dominant, der Ideenreichtum so abgeflacht, dass Exodus zu einer anderen Band mutiert sind. Mitsingkompatible, austauschbare Refrains und Quietschekeyboards machen den vorherigen Anhör-Spaß vollständig kaputt. Doch glücklicherweise kriegen Exodus noch mal die Kurve und liefern mit "Ciagle czekam" einen richtig rockigen Neo Prog Knaller der besseren Sorte ab. Die beiden richtigen Highlight warten aber gegen Ende der CD, wenn das melancholisch-getragene "Widow z góry najwyzszej" eine stimmungsvolle Atmosphäre mit bombastischen Ende bietet, bevor das über 19 Minuten lange, leidenschaftlich vorgetragene Mammutwerk "Ten najpiekniejszy dzien" noch mal richtig auf die Tube drückt und in langen Instrumentalteilen Exodus, sogar mit leichten Yes Anleihen, von ihrer besten Seite zeigt. Da man ja leider nicht weiß, aus welchen Phasen der Bandgeschichte die einzelnen Titel stammen, ist es wahrscheinlich besser auf die Wiederveröffentlichung der einzelnen Alben zu warten, da man damit besser bedient zu sein scheint. Und tolle Überleitung, im November letzten Jahres, wurde das aus dem Jahr 1980 stammende Album "The most beautiful day" wiederaufgelegt. Der englische Titel verwirrt etwas, handelt es sich doch ausschließlich um ein in polnisch gesungenes Album. Glücklicherweise gibt es dort ein Wiedersehen mit insgesamt 5 Titeln der zuvor vorgestellten Kompilation und dies sind auch noch die zum Großteil besten Titel jener Zusammenstellung. Aber auch die restlichen drei Titel verfügen über ihren ganz eigenen Charme. Klar klingt dieses Album typisch nach den 80ern: etwas höhenlastig, die damals üblichen Keyboardsounds, die heute vielleicht eine Spur zu billig, zu hölzern wirken, die leicht düstere Stimmung aus der damaligen weltpolitischen Lage, wie auch unverkennbar wesentlich geradliniger als noch die Art / Progressive Rock Ursprünge der 70er. Aber dennoch ist dies auch genau der Charme, der aus "The most beautiful day" nicht nur ein Zeitzeugnis macht, sondern als Übergang zwischen 70ern mit den Mitteln der 80er zu sehen ist. Hier und da schimmern Elemente von Genesis durch, spieltechnisch brauchen sich Exodus dabei ebenfalls nicht vor den damals dominanten neo-proggigen Kollegen aus Großbritannien zu verstecken. Ebenfalls erstaunlich, dass dieses Album von 1980 stammt, also noch vor den kommerziellen Erfolgen von Bands wie Marillion, IQ, Pendragon oder Pallas aufgenommen wurde. Exodus verstehen es geschickt akustische und elektrische Parts, Atmosphäre und Tempo in einer ganz eigene Interpretation zu paaren, dabei aber auch nicht den polnischen Ursprung zur verleugnen. Dieser spiegelt sich natürlich nicht nur deutlich hörbar im Gesang wieder (von der Tonlage manchmal empfindlich mehrere Spuren zu hoch), sondern auch die Kompositionen sind von der leicht traurigen Stimmung unseres östlichen Nachbarlandes durchzogen. Wer sich also mit Exodus beschäftigen möchte, der sollte als Einstieg dieses mal nicht auf eine Kompilation, sondern definitiv auf "The most beautiful day" zurückgreifen. Eine Zeitreise von mehr als 20 Jahren, die sich lohnt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002