CD Kritik Progressive Newsletter Nr.40 (06/2002)
Electra - Live
(63:34 + 50:45, Buschfunk, 2001)
Mit einer wechselvollen Geschichte, die von einigen Stilwechseln durchzogen ist, gehören die seit 1969 existierenden Electra zu den dienstältesten, noch aktiven Bands in Deutschland. Ende der 70er, Anfang der 80er bildeten sie mit Stern Combo Meissen die Sperrspitze der sinfonisch-progressiv orientierten, ebenfalls auf Klassikadaptionen zurückgreifenden Bands aus der ehemaligen DDR. Bauten Electra vor allem zu Beginn ihrer Karriere auf eine musikalische Nähe zu Jethro Tull, gingen sie später mehr in Richtung der musikalischen Vorbilder Ekseption und lieferten 1980 mit "Die sixtinische Madonna" einer der wohl besten deutschsprachigen Rocksinfonien ab. Danach driftete man leider immer mehr in Popgefilde ab, bevor das Ostrevival Ende der 90er, die Band wieder zurück zu den Wurzeln brachte. Die schlicht betitelte Doppel CD "Live" wurde letztes Jahr in Singwitz mitgeschnitten und bietet einen überfassenden Überblick über das breite musikalische Spektrum von Electra. Aus der poppigen Phase ist lediglich, der damalige Radiohit "Nie zuvor" vertreten, ansonsten gibt es eine gelungene Mischung aus Klassikadaptionen ("Säbeltanz", "Türkischer Marsch"), einige, ebenfalls mehr rocksinfonische Titel von Reform (u.a. das über 11-minütige "Wie im Film") aus den frühen 80erm, bei denen Sänger Stefan Trepte zwischenzeitlich tätig war und neben den besten Titeln von Electra (wie z.B. "Der grüne Esel", "Die sixtinische Madonna", "Tritt ein in den Dom"), auch jede Menge, stilistisch sehr unterschiedlich angelegte, in Kombination recht eigenwillig anmutende Coverversionen. Das reicht vom Jethro Tull / Bach Medley "Bourée" / "Locomotive breath", über den Spencer Davis Group Klassiker "Gimme some lovin'", bis hin zu Gary Moore's "Still got the blues", aber auch dem alten Little Richard Heuler "Good golly Miss Molly". Was die aktuelle Electra Besetzung besonders auszeichnet, ist die Tatsache, dass man mit Peter "Mampe" Ludewig und Stephan Trepte beide stimmlich ausgezeichnete Sänger der Bandgeschichte mit an Bord hat. Trepte verkörpert dabei mehr die melodische, voluminöse, "Mampe" die expressive, ausdrucksstarke Seite. Zudem erweitert Urmitglied und Bandleader Bernd Aust an Flöte und Saxophon das Klangspektrum der Band mit seinen virtuosen Einsätzen nicht unerheblich, wie sich aber auch Gitarrist Eckehardt Lipske immer wieder gekonnt zwischen fingerfertigem Gekreische und gefühlvolles Saitenziehen in den Vordergrund spielt. Keyboarder Andreas Leuschner bekommt hauptsächlich in den klassisch angehauchten Titeln mehr Raum zur Eigenentfaltung, bleibt aber ansonsten, wie auch die Rhythmustruppe, gruppendienlich im Hintergrund. Auch wenn Electra vor allem in der sinfonischen Rockmusik zu Hause sind, so sorgen immer wieder verschachtelte Wendungen zur Klassik und zum Jazz Rock hin, für eine ganz eigene Note. Zwar wirken einige der Coverversionen etwas deplaziert und nicht so recht harmonisch ins eigene Songgefüge eingereiht, ansonsten bietet "Live", welches auch vom Sound her überzeugen kann und sehr gut die Stimmung jenes Abends einfängt, aber einen sehr guten Überblick über eine der ehemals führenden ostdeutschen Bands.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002