CD Kritik Progressive Newsletter Nr.3 (04/95)

ICU - Now and here
(61:32, Gäumgoggel Records, 1995)

Gerade bei dieser Gruppe eine unbefangene Kritik zu schreiben, fällt natürlich besonders schwer. Da ICU bekanntermaßen bereits auf dem 1.Prog Event aufgetreten sind, ist schon eine gewisse Vorbelastung vorhanden. Jeder vielleicht unterschwellig vorhandene und übertriebene Enthusiasmus sei mir also verziehen. Nach diesem etwas langem Vorwort aber nun zum Wesentlichen. Erhielt das Debüt von ICU "Moonlight flit" bereits schon positive Kritiken, wird sich dies bestimmt bei "Now & here" in noch größerem Maße fortsetzen. Spiel- und aufnahmetechnisch, sowie kompositorisch stellt diese CD eine deutliche Steigerung gegenüber dem Erstling dar. Durch die Integration von Flötistin und Background Sängerin Eva-Maria Baumann als vollwertiges Bandmitglied, hat sich das Klangspektrum der Gruppe noch erweitert. Dies wird besonders deutlich bei den ruhigen Teilen und Liedern, die für mich die eindeutige Stärke der Gruppe darstellen, wie z.B. die wunderschöne Ballade "The same old way". "Now & here" ist ein rund 60-minütiges Konzeptalbum, das wie im Booklet beschrieben "a healing process, a dialogue between man and nature" darstellt und im Alleingang in einem Zeitraum von drei Jahren von Gitarrist Thomas Glönkler geschrieben und getextet wurde. Ruhige, melodische und atmosphärische Passagen wechseln sich mit mehr rockigen, teils komplexen und bombastischen Strukturen ab. Die Vielschichtigkeit und Schönheit der Gesamtkomposition erschließt sich dann auch erst nach mehrmaligen Hören oder am allerbesten bei den überzeugenden multi-medialen Live-Präsentationen der Band. Die Musik ist meist melodisch und für meine an komplexe Strukturen gewöhnte Ohren doch recht eingängig, wird damit dem Publikum des Melodic Prog Rocks mit Sicherheit gefallen. Die Eingängigkeit ist für mich kein Kritikpunkt, sondern vielmehr eine Beschreibung der Musik. Rhythmisch bieten Schlagzeuger Joachim Lauber und Bassist Hartwig Dieterich eine solide und unaufdringliche Gesamtgrundlage, die von den abwechslungsreichen Keyboards von Steffen Herrmann als Kontrapunkt ergänzt werden. Auch der Gesang von Ralf Großmann hat sich gegenüber dem Erstling gesteigert. Durch technische Verfremdung (z.B. bei "Dolphin's ride"), Echos und größere Dynamik erhält die Interpretation der Texte mehr Betonung und Bedeutung. Sicherlich ist diese CD nicht das ultimative Konzeptalbum und hat manchmal auch gewisse Längen in den Instrumentalpassagen, sowie musikalische Ähnlichkeiten zu Marillion's "Brave", aber sie hebt sich doch recht deutlich im qualitativen und musikalischen Vergleich zu vielen Veröffentlichungen ab. Auf jeden Fall ist dies für ICU der Schritt in die richtige Richtung, der auch hoffentlich viele Fans finden wird.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 1995